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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Autoren: Jacqueline Kelly
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diesem ausgezeichneten Kuchen probieren. Viola backt ihn nach ihrem Spezialrezept.«
    Benommen nickte ich und sagte: »Dann gehe ich mal und hole ihn.«
    Ich ging durch die Küche, wo Viola mit den Vorbereitungen fürs Abendessen begann. Sie sah auf. »Was führst du im Schilde? Du siehst so komisch aus.«
    »Gar nichts führ ich im Schilde.« Ich pumpte kaltes Wasser über Mr. O’Flanagans Taschentuch und drückte es mir aufs Gesicht. »Außerdem bin ich komisch, deshalb seh ich auch so aus.«
    »Was?«, fragte sie über das Flöten des Wasserkessels.
    Ich trocknete mir das Gesicht mit dem Handtuch, dann besah ich mich in dem gesprungenen Spiegel an der Hintertür. Mein Gesicht war noch immer rot und aufgedunsen, aber immerhin sah ich nicht mehr völlig hysterisch aus. Ich sah mich forschend an. Sah so ein Kind aus, das einen alten Mann langweilte, oder eine Idiotin mit einer Neigung zu voreiligen Schlüssen?
    »Viola«, sagte ich, »Findest du mich langweilig? Oder dumm?«
    »Hm, man kann dir ja vieles nachsagen, Mädchen, aber dumm? Langweilig? Keins von beiden.«
    »Ganz sicher?«
    »Wie kommst du bloß auf solche Ideen?«
    »Viola, es ist wichtig.«
    »Keins von beiden«, sagte sie und wandte sich wieder dem Essen zu. Ich betrachtete ihre schmalen Schultern und ihre drahtigen Arme, und mir wurde klar, dass sie immer viel mehr für mich gewesen war als die, die für unser Essen sorgte. Viola hatte mich noch nie angelogen. Sie würde mich auch jetzt nicht anlügen. Ich ging zu ihr, legte beide Arme um sie und schmiegte mich fest an sie. Wieder war ich überrascht, wie zart sie war. Knochen wie ein Vögelchen hatte sie. Es war erstaunlich, dass in einem so zierlichen Körper eine so große Person stecken konnte.
    »Geh weg«, sagte sie, »ich bin in Eile.«
    »Zu Befehl, Ma’am.« In Eile – und mürrisch, wie üblich.
    »Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst mit diesem Ma’am-Gerede aufhören. Hier im Haus bin ich keine Ma’am, mein Mädchen«, rief sie mir hinterher, als ich gerade die Tür zuzog. Ich bahnte mir einen Weg zwischen den Hofkatzen hindurch, die auf der hinteren Veranda umherstrichen, und schlug den Weg zum Laboratorium ein. Meine Füße waren bleischwer, der kurze Weg zog sich endlos hin.
    Als ich den Sack in der Türöffnung beiseiteschob, sah ich Großpapa, der in seinem gefederten Sessel saß und eine Flasche mit irgendeiner Flüssigkeit ansah. Mit undurchdringlicher Miene blickte er mich an.
    »Sie ist da, Großpapa«, sagte ich.
    »Sie ist da?«
    »Die Nachricht wegen der Pflanze ist da.«
    Er schwieg.
    »Ein Telegramm aus Washington«, sagte ich.
    »Ah.« Er legte den Kopf in den Nacken und sah zur Decke auf. Dann fragte er leise: »Und was schreiben sie?«
    Ich war verwirrt. »Das weiß ich doch nicht«, stammelte ich. »Ich hab es nicht aufgemacht. Das würde ich nie tun. Es ist doch an dich.«
    »Du lieber Himmel, Calpurnia, ich finde, du hättest es öffnen dürfen, schließlich sind wir in dieser Angelegenheit doch Partner, oder nicht? Ist alles in Ordnung mit dir?«
    Ich traute meiner eigenen Stimme nicht und nickte nur.
    »Nun denn. Wenn wir ein Telegramm aus Washington erhalten, müssen wir so gut wie möglich aussehen.«
    Er erhob sich, strich seinen fadenscheinigen Frack glatt, dann streckte er die Arme aus, strich mir mit seinen großen Händen übers Haar und rückte die Schleife zurecht. »Bist du so weit?«
    Ich nickte wieder. Großpapa hielt mir eine Hand hin. »Gehen wir?«
    Ich nahm seine Hand, und ohne ein Wort gingen wir zusammen zum Haus. Gerade wollten wir die Stufen zur hinteren Veranda hochsteigen, da sagte ich: »Warte.« Er blieb stehen und sah mich an. »Ja, Calpurnia?«
    »Vielleicht sollten wir heute den Haupteingang ins Haus nehmen«, sagte ich mit bebender Stimme. »Was meinst du?«
    »Du hast vollkommen recht«, sagte er, und wir schritten langsam auf dem Kiesweg ums Haus herum, vorbei am Salonfenster, hinter dem drei Menschen neugierig den Kopf nach uns drehten. Die Lilien hatten sich schon fast in die Erde zurückgezogen, die Rinde der Kräuselmyrte hatte sich völlig abgelöst, der Himmel war voller Schäfchenwolken. Etwas Wichtiges, Schweres lag in der Atmosphäre, kühle Luft wehte mir entgegen. Hand in Hand stiegen wir die breite Eingangstreppe empor, mein Großvater hielt mir die Tür auf und ließ mich mit einer leichten Verbeugung hindurchgehen. Mein Herz raste wie das eines Kaninchens.
    »Captain Tate.« Als wir den Salon betraten, war Mr.
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