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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl
Autoren: J Angell
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interessierte sich ganz genauso für mich (nicht für Jen, nicht für Tia, sondern für die generische »Nutte«) wie die Kunden, die für meine Gesellschaft bezahlten. Der einzige Unterschied war, dass er einen Job ergattert hatte, in dem er den Voyeur spielen und sich dafür bezahlen lassen konnte, anstatt selbst zu bezahlen. Toll.
    Ich hatte es absolut satt. Ich hatte es satt, mich mit schlechten Manieren abzufinden und sie durch meine Teilnahme stillschweigend zu billigen. Ich hatte es satt, mich um Bedürfnisse zu kümmern, die man auf psychiatrischen Stationen behandeln sollte. Ich hatte es satt, zu lügen, zu säuseln, eine Rolle zu spielen und mich am Ende des Abends in einem zweifelhaften Überlegenheitsgefühl zu wiegen, weil ich ein Bündel Geldscheine in der Hand hielt.

    Ich atmete tief durch. »Ich gehe jetzt«, sagte ich. »Wenn Sie versuchen, mich aufzuhalten, fange ich an zu schreien. Ich schreie laut ›Vergewaltigung!‹, und ich werde so lange schreien, bis Sie wieder Streife laufen und Ihre Frau die Scheidung einreicht. Ich bin zu Ihnen aufs Zimmer gekommen, um einen Drink mit Ihnen zu nehmen und ein bisschen zu plaudern. Sie haben von nichts anderem als Sex geredet, seit ich durch die Tür gekommen bin.«
    Die Verbindungstür zum Nebenzimmer öffnete sich, und ein zweiter, älterer Mann betrat den Raum. Er öffnete den Schrank und stellte die Videokamera aus, die darin auf einem Stativ installiert war. Er sah müde aus. »Woher wusstest du es?«, fragte er nur. »Woher wusstest du, dass du keinen Freier bedienst?«
    Ich starrte ihn an. »In welcher Welt leben Sie?«, fragte ich und überlegte, ob meine Stimme nur für mich so klang, als würde sie gleich ins Hysterische umkippen. »Ich höre heute Abend zum ersten Mal, dass jemand diesen Ausdruck tatsächlich benutzt. Aber vielleicht bewege ich mich in den falschen Kreisen«, sagte ich, während ich meinen Mantel anzog. »Fahren Sie doch mal zu den Frauen, die in der Kneeland Street stehen. Wenn Sie das Tempo ein bisschen drosseln, kommen die Mädels an Ihren Wagen und sprechen mit Ihnen. Ich wette, ein paar von denen ›bedienen Freier‹, haben Zuhälter und ›schaffen an‹. Ich wette, dort finden Sie Ihr Klischee, wenn Sie ein bisschen suchen.« Ich schlug den Mantelkragen hoch. »Was hätten Sie denn gemacht, wenn ich tatsächlich ein Callgirl gewesen wäre , Officer? Wie hätten Sie denn das mit Ihrem Klischee vereinbart? Ich trage kein Make-up. Mein Körper ist ziemlich großzügig bedeckt, und ich bin anscheinend gebildet und intelligent. Genauso wie Ihre Frau, denken Sie. Oder Ihre Schwester. Oder Ihre Tochter.« Er sah aus, als ob er etwas erwidern wollte; er machte eine plötzliche Bewegung, fing sich dann aber wieder. Ich war erschöpft. Es würde sich nie etwas ändern. Nicht hier und auch sonst nirgendwo.

    Auf dem Weg durch die Lobby rief ich Peach an. »Sei auf der Hut, Schwester, man hätte mich um ein Haar verhaftet.«
    »Was ist passiert?« Sie dachte, die Polizei hätte mich an den Seitenstreifen gewunken oder so was.
    »Dein neuer Kunde mit der positiven Ausstrahlung war ein Bulle, Schätzchen. Mit Videokamera hinterm Spiegel und allem, was dazugehört.«
    »Was!? Was ist passiert? Wieso war er hinter uns her?« Für gewöhnlich interessierte sich die Polizei eher für die »großen« Fische, die Agenturen in den Gelben Seiten, mit denen sich mehr Furore machen ließ.
    »Ich weiß nicht. Ich habe ihm erzählt, dass man bei dir nur Verabredungen buchen kann. Es ist in Ordnung, es ist alles gut gegangen. Aber an deiner Stelle wäre ich in Zukunft etwas vorsichtiger.«
    »Bist du in Ordnung?« Die Frage kam ein bisschen spät, aber ich wusste, dass ihre Sorge echt war. Sie tat ihr Bestes. Nein, sie glaubte , ihr Bestes zu tun. Sie glaubte wirklich, dass sie durch ihre Stimme, ihr Lachen oder ihre Anteilnahme alles wieder gutmachen könnte. Ich war drei Jahre lang darauf hereingefallen. Ich fing an, das Spiel zu durchschauen.
    Außerdem war ich nicht in der Stimmung für einen Streit. »Ich weiß nicht, Peach. Ich gehe nach Hause. Ich nehme eine Dusche und werfe alle meine Arbeitsklamotten in den Müll. Ich werde eine Zeit lang mit weniger Geld auskommen. Ich brauche mehr Zeit zum Unterrichten. Ich brauche – mein Gott, ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, was ich brauche. Ich weiß nur, dass ich dies hier nicht brauche.«
    Sie versuchte natürlich, mich umzustimmen. Alles in allem hatte sie viel Geld mit mir verdient.
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