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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
Autoren: Jennifer Worth
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Prostituierten, wie sie sich an den Hauptstraßen anboten, aber in den Nebenstraßen standen überhaupt keine, nicht einmal auf der Isle of Dogs, wo die meisten Seeleute ankamen. Erfahrene Professionelle verschwendeten ihre Zeit nicht in einer solch wenig aussichtsreichen Gegend, und hätte es eine begeisterte Amateurin unbedacht dort versucht, sie wäre sicher schnell von entrüsteten Anwohnern beiderlei Geschlechts vertrieben worden, vermutlich mit Gewalt. Die Bordelle waren bekannt und immer voll. Sie wurden wahrscheinlich illegal betrieben und von Zeit zu Zeit gab es Razzien der Polizei, doch das schien das Geschäft nicht zu beeinträchtigen. Ihre Existenz sorgte auf jeden Fall dafür, dass die Straßen sauber blieben.
    In den vergangenen fünfzig Jahren hat sich das Leben unwiderruflich verändert. Meine Erinnerungen an die Docklands haben nichts mit der Gegend gemeinsam, wie man sie heute kennt. Das Leben der Familien und der Gesellschaft ist völlig in die Brüche gegangen, denn innerhalb eines Jahrzehnts kamen drei Dinge zusammen, die für eine jahrhundertealte Tradition das Ende bedeuteten: die Schließung der Docks, die Räumung der Slums und die Pille.
    Die Räumung der Slums begann in den späten Fünfzigerjahren, noch während ich in der Gegend arbeitete. Natürlich waren die Häuser ziemlich schäbig, aber sie waren das Zuhause der Menschen, die sehr an ihnen hingen. Ich kann mich an viele, viele junge und alte Leute erinnern, Männer und Frauen, die einen Brief der Stadtverwaltung in Händen hielten, in dem man ihnen mitteilte, dass ihre Häuser oder Wohnungen abgerissen werden sollten und dass man sie umsiedeln wolle. Die meisten heulten. Sie kannten nichts anderes, und an einen Ort vier Meilen entfernt umzuziehen, erschien ihnen, wie ans Ende der Welt zu fahren. Der Umzug riss die Großfamilie auseinander, darunter litten die Kinder. Die Veränderung bedeutete für viele ältere Leute ganz wörtlich den Tod, denn sie konnten sich nicht mehr eingewöhnen. Was hat man von einer blitzsauberen neuen Wohnung mit Zentralheizung und Bad, wenn man die Enkel nicht mehr besuchen kann, niemanden zum Reden hat und das Lokal, in dem es das beste Bier Londons gab, nun vier Meilen weit weg ist?
    Als die Pille in den frühen Sechzigerjahren auf den Markt kam, war das die Geburtsstunde der modernen Frau. Sie war nicht länger an den Kreislauf immer neuer Babys gebunden; sie wurde unabhängig. Mit der Pille kam, was wir heute die sexuelle Revolution nennen. Frauen konnten zum ersten Mal in der Geschichte leben wie die Männer und Sex um seiner selbst willen genießen. In den späten Fünfzigerjahren verzeichneten wir in unseren Büchern zwischen achtzig und hundert Geburten pro Monat. Bis 1963 war diese Zahl auf vier bis fünf pro Monat gefallen. Das ist mal ein gesellschaftlicher Wandel!
    Die Schließung der Docks zog sich über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren hin, doch etwa 1980 war die Zeit der Handelsschiffe endgültig vorbei. Die Männer klammerten sich an ihre Arbeit, die Gewerkschaft versuchte, für sie einzustehen, und während der Siebzigerjahre gab es zahlreiche Streiks der Dockarbeiter, aber die Zeichen der Zeit waren deutlich. In Wirklichkeit sorgten die Streiks keineswegs für die Erhaltung der Jobs, sie beschleunigten vielmehr die Schließungen. Für die Männer der Gegend bedeuteten die Docks mehr als nur ihre Arbeit, mehr sogar als ihre Lebensart – sie waren das Leben an sich. Und für diese Männer brach die Welt zusammen. Die Häfen, die jahrhundertelang Englands wichtigste Lebensadern gewesen waren, wurden nicht mehr gebraucht. Daher wurden auch die Männer nicht mehr gebraucht. Das war das Ende der Docklands, wie ich sie gekannt habe.
    In der viktorianischen Zeit war eine Welle sozialer Reformen durch das Land gerollt. Zum ersten Mal konnte man von Missständen lesen, die nie zuvor offengelegt worden waren, und das Gewissen der Öffentlichkeit wurde geweckt. Im Rahmen dieser Reformen wurde vielen vorausschauenden, gebildeten Frauen bewusst, welcher Bedarf an guter Pflege in den Krankenhäusern herrschte. Krankenpflege und Geburtshilfe waren in einem bedauernswerten Zustand. Beide galten nicht als angesehene Beschäftigung für eine gebildete Frau und so schlossen die ungebildeten die Lücke. Die karikaturartigen Figuren Sairey Gamp und Betsy Prig – ahnungslose, schmutzige, Gin schlürfende Frauen, wie wir sie aus den Werken von Charles Dickens kennen – mögen uns beim Lesen urkomisch
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