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Byrne & Balzano 1: Crucifix

Byrne & Balzano 1: Crucifix

Titel: Byrne & Balzano 1: Crucifix
Autoren: Richard Montanari
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stoischer Ruhe. Er hatte nur genickt.
    Doch als Jessica ihm nun das Kettchen mit dem Schutzengel zurückgab, glaubte sie, in seinen Augen Gefühle aufflackern zu sehen. Sie drehte sich um und schaute auf die Straße, als wartete sie auf den Bus; sie wollte Wells einen kurzen Moment für sich allein gönnen.
    Wells schaute auf seine Hände und hielt ihr den Anhänger hin.
    »Ich möchte Ihnen den Schutzengel schenken«, sagte er.
    »Das kann ich nicht annehmen, Sir. Ich weiß, was er Ihnen bedeutet.«
    »Bitte«, sagte Wells. Er legte ihr den Anhänger in die Hand und schlang seine Finger um die ihren. Seine Haut fühlte sich an wie warmes Pauspapier. »Tessa hätte gewollt, dass Sie den Engel bekommen. Sie war Ihnen in vieler Hinsicht ähnlich.«
    Jessica öffnete die Hand. Sie schaute auf die Inschrift auf der Rückseite.
     
    Siehe, ich sende einen Engel vor dir her,
    der dich behüte auf dem Wege.
     
    Jessica beugte sich vor und küsste Frank Wells auf die Wange; dann ging sie zum Wagen zurück, wobei sie versuchte, ihre Gefühle zu kontrollieren. Als sie sich dem Bürgersteig näherte, sah sie einen Mann, der aus einem schwarzen Saturn ausstieg, der ein Stück hinter ihrem Wagen auf der Zwanzigsten Straße parkte. Der Mann war Mitte zwanzig, von mittlerer Größe, schlank, aber muskulös. Er hatte dunkelbraunes Haar, das sich bereits ein wenig lichtete, und einen gestutzten Schnurrbart. Er trug eine getönte Fliegerbrille und eine braune Uniform. Der Mann ging auf das Haus der Wells zu.
    Es musste Jason Wells sein. Tessas Bruder. Jessica hatte ihn auf dem Foto an der Wohnzimmerwand gesehen.
    »Mr Wells«, sagte sie. »Ich bin Jessica Balzano.«
    »Ja, natürlich«, sagte Jason.
    Sie reichten sich die Hände.
    »Es tut mir Leid«, sagte Jessica.
    »Danke«, sagte Jason. »Ich vermisse sie jeden Tag. Tessa war das Licht meines Lebens.«
    Jessica konnte seine Augen nicht sehen, aber das war auch nicht nötig.
    »Mein Vater hat große Achtung vor Ihnen und Ihrem Partner«, sagte Jason. »Wir danken Ihnen sehr für alles, was sie getan haben.«
    Jessica nickte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Ich hoffe, Sie und Ihr Vater finden Trost.«
    »Danke«, sagte Jason. »Wie geht es Ihrem Partner?«
    »Er kommt durch«, sagte Jessica und wünschte, es wäre wahr.
    »Ich würde ihn gern mal besuchen, wenn es geht.«
    »Klar«, sagte Jessica, obwohl sie wusste, dass Kevin von dem Besuch nichts mitbekommen würde. Sie schaute auf die Uhr und hoffte, dass es nicht unhöflich aussah. »Ich muss noch etwas erledigen. Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen.«
    »Gleichfalls«, sagte Jason. »Passen Sie auf sich auf«
    Jessica ging zum Wagen. Sie dachte an die Veränderungen, die im Leben von Frank und Jason Wells jetzt eintreten würden, ebenso wie in den anderen Familien, deren Töchter Andrew Chase ermordet hatte.
    Als sie den Wagen anließ, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie erinnerte sich, wo sie das Logo schon einmal gesehen hatte, jenes Logo, das sie bei ihrem ersten Besuch auf dem Bild an der Wohnzimmerwand von Frank und Jason Wells auf dem schwarzen Blouson des jungen Mannes bemerkt hatte.
    Es war dasselbe Logo, das ihr gerade auf dem Ärmel von Jason Wells’ Uniform aufgefallen war.
    Hat Tessa Geschwister?
    Einen Bruder. Er heißt Jason und ist viel älter als sie. Er lebt in Waynesburg.
    Die Justizvollzugsanstalt Greene befand sich in Waynesburg.
    Jason Wells war dort Aufseher.
    Jessica schaute zur Eingangstür des Hauses. Jason und sein Vater standen dort, einen Arm um die Schulter des anderen geschlungen.
    Jessica zog ihr Handy aus der Tasche. Sie wusste, dass es den Sheriff in Green County sehr interessieren würde, dass der ältere Bruder eines der Opfer von Andrew Chase in jenem Gefängnis arbeitete, in dem der Mörder zu Tode gekommen war.
    Es würde ihn sogar brennend interessieren.
    Jessica schaute ein letztes Mal aufs Haus der Wells – ihre Finger schwebten über den Tasten des Handys. Frank Wells beobachtete sie mit seinen feuchten, alten Augen. Er hob eine dünne Hand und winkte. Jessica winkte zurück.
    Zum ersten Mal, seit sie ihn kennen gelernt hatte, spiegelten sich auf dem Gesicht des alten Mannes keine Trauer oder Angst. Stattdessen erkannte sie Ruhe, Entschlossenheit und eine beinahe unnatürliche Gelassenheit.
    Jessica verstand.
    Als sie wegfuhr und das Handy in die Tasche steckte, blickte sie in den Innenspiegel und sah Frank Wells in der Tür stehen. Dieses Bild würde sie immer
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