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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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schmettert er uns ein herzhaftes «Schicksal ahoi!» entgegen: der Mensch, Strandgut im Ozean der Schöpfung.

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    Man könnte meinen, mit der Nennung eines einzigen Produkts sei der Gipfel der Reduktion erklommen. Irrtum. Die höchsten Sphären des Minimalismus erfordern einen konsequenten Verzicht auf alle herkömmlichen Notationsmethoden. Eines der radikalsten Schriftwerke in meiner Sammlung und Weltmeister im Weglassen ist dieses Exemplar, welches mir freundlicherweise von Liliana Becker zur Verfügung gestellt wurde, einer gewieften Listen-Analystin aus Bayreuth. Liliana gehört zu jenen aufgeweckten Zeitgenossen, die seit Jahr und Tag gemeinsam mit mir Einkaufszettel im Internet sondieren, interpretieren, katalogisieren und dafür sämtliche sonstigen Lebensinhalte vernachlässigen – hierfür an dieser Stelle besten Dank. Das von ihr beigesteuerte Memorandum könnte das Ziel verfolgen, den Verfasser an das Einlösen eines Rezepts zu erinnern. Vielleicht hat er Gicht und kann deshalb nicht schreiben. Sollte er/​sie (anhand der Schrift lässt sich in diesem Grenzfall keine Geschlechtsvermutung anstellen) im Vollbesitz seiner Schreibfähigkeit sein, verästelt sich der Baum der Erkenntnis erneut: Entweder ist der Verfasser ein geübter Logistiker, oder ein Faulpelz. Der Kringel stünde einem Lademeister der Bundeswehr ebenso gut zu Gesicht wie einem Punk mit Iro und Nasennut – wobei Letzterer eher selten in Apotheken gesichtet wird. Oder, um zum zweiten Antwort-Ast zu klettern: Die Umkreisung des Apotheken-Schriftzugs ist reiner Zufall; der Verfasser will mitnichten ein Rezept einlösen, auch interessiert er sich keinen Deut für Logistik, und Punk ist auch nicht sein Fall – vielmehr handelt es sich um das Werk eines Hobbyzeichners, und der Graphikfreak will in die Bäckerei, hat Bock auf ein Brötchen. Apropos Bock:

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    Der Kenner von Bulle und Bär weiß Bescheid; bei der Beurteilung von Aktiengesellschaften untersucht der Anleger unter anderem das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis. Dem Einkaufszettel-Analysten ist ein anderer Fachbegriff weit wichtiger, das Einkaufszettel-Platz-Notiz-Verhältnis, kurz: Eiplanov. Ein unausgewogenes Eiplanov ist immer ein Alarmsignal, denn: Unausgewogene Eiplanovs sind Sinnbilder existenzieller Krisen. Im vorliegenden Fall blicken wir auf ein DIN-A 4-Blatt , dreifach gefaltet. Aus der Aufsicht werden die Falze zu Höhenzügen und Talgründen; das Blatt wird zur sanft geschwungenen Hügellandschaft. Schnee bedeckt das karge Land, kein Lebenszeichen weit und breit. Kein Lebenszeichen? Doch. Im äußersten linken, oberen Eck hat ein Mensch seine Markierung hinterlassen. Tempos, Nudeln, Getränke – offenbar hat er vor, in dieser eiszeitlichen Wildnis zu überleben. Womöglich plant er gar eine Traversierung dieser Winterhölle! So ungefähr muss sich Reinhold Messner am Vorabend seiner Grönlanddurchquerung gefühlt haben. Doch kurz bevor die kühne Expedition begonnen ward, verließ das tapfere Schreiberlein der Mut. Bei Backpapier schien noch alles in Butter, bei «Rote» bricht die Aufzeichnung jäh ab. Worauf sollte sich das Signaladjektiv beziehen? Beete? Rüben? Gar Blut? Beendete ein Eisbär die polare Unternehmung, noch bevor sie überhaupt begann? Klar ist, dass sich hier ein unerhörtes Drama abgespielt haben muss und dass unsere arme Artgenossin (eine Dame wohl, womöglich unbegleitet) bis auf weiteres vom tiefgefrorenen Erdboden verschwunden ist. Klar ist ferner: Das Eiplanov ist völlig aus der Balance geraten. Auweia.

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    Auch hier ist das Eiplanov entglitten. Überhaupt erinnert dieser Zettel sehr an seinen Vorgänger, man könnte meinen, auch hier handele es sich um das Zeugnis einer Polarexpedition, wobei die zu überquerende Landschaft an der dem Startpunkt gegenüberliegenden Seite auffallend ausgefranst ist. Sieht ganz so aus, als sei in jüngster Zeit ein größeres Stück Eis abgebrochen. Die frische Ruptur zeigt uns auf dramatische Weise die Folgen des Treibhauseffekts, aber dies nur nebenbei. Auch in diesem Beispiel ist der Abenteurer spurlos verschwunden, wurde womöglich von einem hungrigen Eisbären dahingerafft oder von einem Motorschlitten überrollt. Spurlos? Von wegen. Blutspuren markieren den Ort der Tragödie; das Gemetzel muss grausam gewesen sein. Immerhin wurde die Expedition wenigstens begonnen, und der tapfere Abenteurer hat es fast bis an den fjordartigen Einschnitt geschafft, der das obere Drittel des Zettels unterseits
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