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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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sich und ihren Lebensmittelbedarf im Wortsinn verewigen. Die Urangst vor dem Tod treibt den Einkäufer in die Unendlichkeit – pikanterweise notiert auf einem Automobil, dessen Listenpreis in Höhe von knapp 5000   Euro nur möglich ist, weil an allen lebensverlängernden Sicherheitssystemen wie Airbag, ABS, ESP gespart wird.

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    Neben Raufaser und Autoaufkleber stößt der versierte Sammler auch auf andere Behelfszettel, etwa solche, die aus Verpackungspappen bestehen. Auch diese Pappen wirkten vor ihrem Ausriss häufig im Dienst der Pharmaindustrie, etwa als Schachtel. Das vorliegende Exemplar nennt uns den Namen eines hammerharten Antidepressivums namens Insidon. Sein Wirkstoff heißt Opipramol, und seine Nebenwirkungen sind Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Veränderungen der Blutdruckwerte, Atemnot, Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen, sexuelle Unlust, Luststeigerung, Lichtempfindlichkeit, Blasenschmerzen, Schlafstörungen, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Ödeme, Wassereinlagerungen, Mundtrockenheit, Gereiztheit, Aggressivität, Wahrnehmungsstörungen, Benommenheit, Gewichtsveränderung, Magen-Darm-Störungen, Schleimhautschwellung und Schluckbeschwerden.
    Puh. Der Einkäufer, so dürfen wir getrost annehmen, nimmt also Insidon – womöglich braucht er Nachschub und hat als Erinnerungshilfe die Packung zerlegt. Weitere Lebensmittelwerden offenbar nicht benötigt; eventuell wird der Verfasser durch Schleimhautschwellungen, Schluckbeschwerden und Magen-Darm-Störungen an der Nahrungsaufnahme gehindert. Notiert ist jedoch «und Diskus». Nanu. Zwei Erklärungsmodelle kann ich hierzu anbieten: Diese Notizpappe wurde von einem Diskuswerfer präpariert, der sein Sportgerät haarscharf an der Olympianorm vorbeigeschleudert hat. Seine Rivalen frohlocken, erwerfen sich Edelmetall, kriegen üppige Werbeverträge, fahren Lamborghini und heiraten Superdupermodels – unser Versager hingegen kriegt lediglich eine Depression. Nachteil dieser Theorie: Sie erklärt nicht, warum der Jammerlappen einen neuen Diskus benötigt. Darum ist Idee Nummer zwei besser: Der Athlet hat die Olympianorm nicht verfehlt, sondern bei weitem übertroffen. Der Diskus segelte so weit wie keine Wurfscheibe je zuvor. Unter dem Geraune des verblüfften Publikums überwand das Flugobjekt die Stadionränge, landete im Nirgendwo und ward nimmer gesehen. Schöner Schlamassel: Olympianorm und Diskus   – Alles ist weg. Für die darob einsetzende Depressionhabe ich volles Verständnis. Kopf hoch; es kann nicht immer Sonntag sein.
    So simpel der Sinn des Insidons, nämlich, mindestens, die Laune zu heben, so einfach die Beschriftung «und Diskus». Und so schwindelerregend wie die Nebenwirkungen des Antidepressivums sind auch die Deutungsmöglichkeiten, die sich auftun.

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    Ein integraler Bestandteil meiner Jahresplanung ist der obligatorische Novemberaufenthalt auf Wangerooge. Nichts ist erholsamer als die Kombi aus Strandspaziergang und Supermarktbesuch. Der Clou: Wangerooge verfügt zwar über zwei gediegene Einzelhandelsadressen, nämlich den SPA R-Markt und, gleich nebenan, den IDEA L-Markt , aber die Insel gibt sich störrisch, wenn’s um die Objekte meiner Begierde geht. Ist es die chronisch steife Brise, die jeden Papierfetzen sogleich der Nordsee übereignet? Oder sind auf einer kleinen Insel, wo jeder jeden kennt, der Kassierer den Kunden, der Kunde die kurzen Regale, Einkaufszettel weniger üblich als auf dem Festland? Erlaubt der eiländische Mangel an Ablenkung dem Insulaner eine genauere Kenntnis seiner Konsumgewohnheiten? Oder gar ein besseres Gedächtnis, weil die Permanentwinde alles kräftig durchpusten? Jedenfalls ist dieses Musterbeispiel minimalistischer Merkzettelkultur die einzige Liste, die mir je auf einer Nordseeinsel in die Fänge geraten ist – und der Begriff «Liste» kann hier wahrlich nur mit größtem Wohlwollen verwendet werden. Ein alteingesessener Wangerooger ernährt sich bekanntlich ausschließlich von Ostfriesentee, dieser Zettel hingegen dokumentiert, wenn man den Werbeaufdruck mitliest, alles, was ein zugereister Insulaner in einem langen, nasskalten Inselwinter zum Überleben braucht, nämlich Bier und Espresso. In diesem bipolaren Getränke-Gespann steckt so viel – einschlafen und aufwachen, stop and go, heiß und kalt, hü und hott, blond und braun oder, ums nordseespezifischer auszudrücken: Ebbe und Flut. Und, quasi zwischen den Zeilen, mal taumelnd, mal tänzelnd auf den Gischtkronen des Weltgeschehens,
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