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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde
Autoren: Arne Dahl
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gleichzeitig im Freien. Aber sie waren da, in den verschiedensten Kontexten.
    »Wie funktioniert das?«, fragte Paul Hjelm, während er den Bildschirm nicht aus den Augen ließ.
    »Die Mobiltelefone«, sagte Tore Michaelis und studierte seinen eigenen Schirm. »Der Satellit stellt sich nach euren Mobiltelefonen selbst ein. Wenn die Menschen wüssten, was man mit Handys alles machen kann, würden sie sie wahrscheinlich etwas häufiger abschalten. Hier drinnen ist es genauso. Die Überwachungskameras habe ich ausschalten können, aber wir dürfen auf keinen Fall unsere Handys benutzen, auch keine Mails von hier versenden. Denk daran.«
    »O ja«, sagte Paul Hjelm.
    Sie machten weiter. Die Zeit begann knapp zu werden. Hjelm bemerkte eine neue Furche auf Michaelis’ Stirn.
    Er ging zum Schrank, um eine weitere Festplatte zu holen – er meinte die Reihenfolge zu kennen. Da fiel sein Blick auf eine Mappe ganz unten. Eine ganz ordinäre Mappe. Mit ordinären Papieren. Aber irgendwie sah sie wichtig aus. Er schlug sie auf und blätterte sie rasch durch. Ein Papier kam ihm wichtiger vor als die anderen. Es war eine Liste, ein Kundenverzeichnis. Es enthielt die Käufer von Mikrospürsendern. Zivile Käufer von Mikrospürsendern. Er nahm das Blatt heraus, faltete es und schob es in seine Gesäßtasche.
    Als er mit einer neuen Festplatte zurückkehrte, sagte Tore Michaelis, ohne von seinem Schirm aufzublicken, auf dem gerade Arto Söderstedt an etwas so Ausgefallenem wie Volkstanz auf Skansen teilnahm: »Was war das für ein Papier?«
    »Mikrospürsender«, sagte Hjelm ehrlich. »Kundenverzeichnis.«
    »Ah«, sagte Michaelis. »Das Prostitutionssyndikat. Jaja, gut. Aber das ist gefährlich, wir hinterlassen Spuren.«
    »Verdammt«, sagte Hjelm und tastete nach seiner Gesäßtasche.
    Tore Michaelis legte die Hand auf seinen Arm und sah ihm tief in die Augen. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Es ist schon okay. Spielt keine Rolle.«
    Hjelm versuchte zu begreifen, was er in Tore Michaelis’ Blick sah, aber dazu reichte die Zeit nicht. Sie hatten noch zehn Minuten, bevor sie wegmussten. Michaelis ging in die Hocke und zog einen kleinen Umschlag aus der Brusttasche der Uniform. Daraus entnahm er einen winzig kleinen Mechanismus. Er riss eine Schutzfolie ab, befühlte vorsichtig den selbstklebenden Streifen und befestigte den Mechanismus an der Unterseite des Kontrolltisches.
    »Abhörvorrichtung«, sagte er und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Denn jetzt finden wir hier nichts mehr.«
    Hjelm schob die letzte Festplatte ein.
    Es war wie mit einem Fernglas von oben gesehen. Er kannte es inzwischen.
    Das Bild zeigte die Hubschrauberlandeplattform des Söder-Krankenhauses.
    Das Himmelsauge suchte dieselbe alte Gartenbank im Krankenhauspark, auf der Viggo Norlander immer in seinem verschlissenen grünen Morgenrock saß. Diesmal sah er schlapper aus als seit Langem. Dem Ärmsten ging es wirklich nicht gut.
    Der Satellit zoomte ihn heran. Viggo war jetzt direkt von oben zu sehen. Sein völlig kahler Schädel glänzte in der Sonne.
    Viggo Norlander wandte das Gesicht zum Himmel und zeigte diesem den Mittelfinger, eindeutig und ausdrücklich. Er schüttelte den Kopf, zog eine wollige kleine orangefarbene Zottel aus der Tasche und strich sanft mit den Fingern über die weiche, glatte Oberfläche. Dann steckte er sein Amulett in die eine Tasche zurück und holte aus der anderen sein Handy. Er betrachtete es. Sein Kopf sank nach vorn. So blieb er eine Weile sitzen. Bis er eine Dose Bier unter der Parkbank hervorklaubte, sie aufriss und zum Himmel hob. Paul Hjelm sah deutlich, dass seine Lippen die Worte formten: »Na dann, Paul. Wir sehen uns bald.«
    Paul Hjelm lächelte und dachte: Ja, verflucht, Viggo, das tun wir. Aber nicht da, wo du geglaubt hast. Ich zweifle daran, dass einer von uns in den Himmel kommt.
    Da blieb der Film stehen. Ganz von selbst.
    »Aber verflucht noch mal!«, stieß Paul Hjelm aus.
    »Du hast ihn angehalten«, stellte Michaelis fest. »Hast du was gefunden?«
    »Nein. Er ist von selbst stehen geblieben.«
    Michaelis war sofort interessiert und studierte Hjelms Bildschirm.
    Die Sequenz begann von vorn, aber deutlich vergrößert. Und in Zeitlupe.
    »Das hier ist eine separate, bearbeitete Datei«, sagte Michaelis.
    Langsam bewegte sich Viggos Hand, die jetzt sehr groß und ein wenig unscharf war, zur Tasche des Morgenrocks. Sehr langsam zog die Hand eine wollige kleine orangefarbene Zottel aus der Tasche und
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