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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde
Autoren: Arne Dahl
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ihm die Menschen sehr vertraut.
    »Norr Mälarstrand?«, fragte er. »Der Mälarpavillon?«
    »Satellitenüberwachungsfilm, nach drei Uhr, am Nachmittag des 27. August, eines Sonntags.«
    »Die Stunde des Umbruchs«, stieß Paul Hjelm aus. »Oh, verflucht. Und das da sind also tatsächlich Jorge Chavez und Sara Svenhagen?«
    »Und offenbar Klein Isabel«, sagte Tore Michaelis sachkundig. »Ich tippe, dass es gleich ganz schnell geht. Sei aufmerksam. Ich passe auf meiner Seite auch auf. Wonach wir also suchen, sind Anomalien, etwas, das sie vom Üblichen unterscheidet. Am ehesten kleine Gegenstände. Bankkontonummern können in allem und jedem enthalten sein.«
    Hjelm ließ den Film weiterlaufen. Es ging tatsächlich ziemlich schnell. Als Jorge sich vorstreckte, um die deutliche Rundung von Saras Bauch zu streicheln, kam ein Schnitt, und es erschien ein Paar auf einer Veranda hoch über dem Mälarsee. Gunnar Nyberg schien seine Ludmila noch ein wenig fester an seinen großen Körper zu drücken.
    »Pfui Teufel!«, sagte Hjelm. »Alle miteinander?«
    »Warte ab«, mahnte Tore Michaelis und konzentrierte sich auf seinen eigenen Bildschirm.
    Auf Hjelms Bildschirm erschien jetzt Jon Anderson, der allein in einem Restaurant in Gamla Stan im Freien saß und seinen Verlobungsring am Finger drehte, bis sein Marcus zurückkam und Jons ganze Körperhaltung sich änderte. Dann kamen die Kupferzelte des Hagaparks ins Bild. Ein sehr weißer Mann stand auf einer Rasenfläche an einem Tisch vor einer Anzahl ähnlicher weißer Köpfe, wie um eine Rede zu halten. Hjelm brauchte keine Gesichter zu sehen, um die Familie Söderstedt zu erkennen. Von da führte der Film nach einem neuerlichen Schnitt zu einer kleinen dunkelhaarigen Frau, die im Schatten zwischen Gräbern dahinwanderte. Manchmal verschwand sie unter Baumkronen, doch der Satellit verfolgte ihre Wanderung akkurat, bis sie eine einsam gelegene Lichtung erreichte, wo sie vor einem Grab niederkniete. Sie kauerte einen Meter vor dem Grab und richtete den Blick zum Himmel. Tränen rannen über ihr Gesicht, als ihr Blick dem des Himmelsauges begegnete.
    Paul Hjelm drückte auf »Pause«.
    Er hielt Kerstin Holms Weinen an, ließ ihre Tränen gefrieren.
    »Ich hoffe, ich habe sie jetzt nicht getötet«, sagte er leise.
    Tore Michaelis sah ihn nur an.
    Hjelm atmete tief durch und machte weiter. Und er begegnete sich selbst. Paul Hjelm im Gartenrestaurant Lasse i Parken zusammen mit seinem Sohn Danne. Er hielt den Film erneut an.
    »Ich?«, stieß Paul Hjelm hervor. »Warum ich? Ich war gar nicht mit auf Torö. Und Kerstin und Jorge auch nicht.«
    »Naberius geht wohl auf Nummer sicher«, erklärte Michaelis und schaute auf die Uhr. »Noch fünfundvierzig Minuten. Du lässt dich doch nicht zu Sentimentalitäten hinreißen, Paul?«
    »Natürlich nicht«, sagte Hjelm, ließ den Film weiterlaufen und sah sich selbst auf sein Handy blicken. »Hier erfahre ich gerade, dass ich dein Nachfolger werden soll«, sagte er.
    »Da sieht man’s«, sagte Michaelis desinteressiert.
    Der Film lief weiter. Ein schmaler Schatten offenbarte sich. Danne sprang auf und schrie und lief davon. Der schmale Schatten setzte sich neben den Vater. Der entsetzte Blick des Vaters war sehr, sehr deutlich, als seine schmale, sehr schmale Tochter sich über den Tisch beugte.
    Sich dem absurden Druck der Gegenwart beugte.
    Dann kam er im noch dicht belaubten Garten des Söder-Krankenhauses an. Ein sehr alter, gebeugter Mann in grünem Morgenrock saß reglos auf einer Parkbank. Paul Hjelm dachte plötzlich, dass er Viggo Norlander häufiger hätte besuchen sollen. Der Hubschrauberlandeplatz des Krankenhauses zeichnete sich deutlich ab, wie die zwei Linsen eines Fernglases. Dann sah er Lena Lindberg in einem Straßencafé am Karlavägen sitzen. Er sah einen Streifenwagen mit Blaulicht an der Kreuzung direkt neben ihr einbiegen und zur Jungfrugatan brausen. Sie lief hinterher und stürmte in einen Videoladen, vor dem der Streifenwagen gehalten hatte.
    Und da endete der Film.
    Da war die Stunde des Umbruchs zu Ende.
    »Nichts?«, fragte Tore Michaelis. »Ich glaube, wir müssen ein bisschen schneller machen.«
    »Nichts wirklich Ungewöhnliches«, sagte Paul Hjelm. »Nur Leben.«
    Michaelis reichte ihm eine neue Festplatte. Hjelm tauschte sie aus und sah eine neue Sequenz, vermutlich etwas älter. Wieder flimmerten die meisten Mitglieder der A-Gruppe vorüber, vielleicht nicht ganz so deutlich. Nicht alle waren
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