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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden
Autoren: Sigrid Neureiter
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sich um einen der Sessel handeln, die in der Burg standen. Behutsam, um die andere Frau nicht auf sich aufmerksam zu machen, nahm der Mann den Stuhl in beide Hände, holte aus und rammte ihn der Angreiferin in die Knie, die daraufhin ins Stolpern geriet und ihr Opfer losließ.
    Nun nahm William auch im Mittelgang eine Bewegung war: Der große Mann, der zuerst mit dem anderen mitten in ihre Szene hineingestürmt war und sich vor der Bühne aufgepflanzt hatte, hatte sich offenbar unbemerkt weiter nach oben gepirscht. Kaum, dass sich die kleinere der beiden Frauen aus ihrer Umklammerung löste, war er mit einem Satz beim Geländer am Ende der Tribüne und übersprang es. Gerade rechtzeitig, dass er die Frau mit dem Fahrradhelm, die jetzt taumelte, auffangen konnte. Wie leblos sank sie in seine Arme.
    Was für eine Dramatik. Das empfand offenbar auch das Publikum so, denn jetzt begann es zu applaudieren. William sah ratlos zum Abt hin, der ihm am nächsten stand. Doch der hatte die Augen immer noch starr nach oben gerichtet. William folgte dem Blick des Kollegen. Das Zwischenspiel, oder was immer es war, das da oben stattfand, war noch nicht zu Ende. Die große Frau hatte sich wieder hochgerappelt und befand sich jetzt vor einem Mauerabschnitt genau in der Mitte des Wehrgangs, wo zu beiden Seiten die Zinnen aufragten. Bizarr hob sich die Silhouette gegen den Mondhimmel ab. In der einen Hand hielt sie das zusammengerollte Papier, in der anderen einen Gegenstand, den William auf die Entfernung hin nicht genau erkennen konnte, der aber ein flackerndes Licht zu spenden schien. Jetzt führte die Frau das Papier zu der Lichtquelle. Nach wenigen Augenblicken hielt sie es wieder in die Höhe. Selbst aus dieser Distanz war zu erkennen, dass bereits erste Flammen an den Seiten züngelten. Deren Schein erhellte nun auch die Frau, die begann, ihre Kleidung mit dem Inhalt des Gegenstandes zu übergießen.
    Plötzlich löste sich die kleine Frau aus den Armen des Mannes, in denen sie gerade noch gelegen hatte, und wollte auf die andere zustürzen. Die hielt jetzt das Papier wie ein Flammenschwert vor sich und rief nun wieder mit lauter Stimme.
    »Stehen geblieben. Jetzt ist es zu spät. Niemand wird es je erfahren.«
    Mit diesen Worten stieg die Frau, deren flatternde Kleidung ebenfalls Feuer gefangen hatte, auf die Mauer. Mit einem langen Schritt trat sie in den Abgrund, der sich auf der anderen Seite der Burgmauer auftat. Wieder ging ein Raunen durch die Menge, als plötzlich der Abt zu sprechen begann:
    »Das gehört nicht zum Stück.«
    Er hatte seine Feststellung mit gewohnter Bühnenstimme vorgetragen, so dass auch die Zuschauer seine Worte hören konnten. Wie benommen sanken sie wieder auf die Plätze, als plötzlich ein rundlicher Mann gemessenen Schrittes die Bühne betrat.
    »Meine Damen und Herren, es hat leider ein Unglück gegeben. Polizei und Rettung sind schon unterwegs. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten. Bitte begeben Sie sich in die Burgschänke. Auf den Schock können wir alle eine kleine Stärkung vertragen.«
     
    Blasius Botsch verneigte sich und wies mit großer Geste Richtung Burghof. Ein wenig verdattert, aber nicht abgeneigt, der Einladung Folge zu leisten, erhoben sich die ersten und gingen Richtung Ausgang. Bald taten es ihnen die anderen gleich. Der Burgdirektor war wieder ganz Herr der Situation.

Vierzehn
     
     
    Unter der Linde,
    auf der Wiese,
    wo unser beider Lager war,
    da werdet Ihr,
    wenn Ihr daran vorbeikommt,
    geknickte Blumen und zerdrücktes Gras sehen.
    Vor dem Wald in einem Tal,
    tandaradei
    Sang so schön die Nachtigall.
     
    Mit klopfendem Herzen
    ging ich zur Wiese ,
    wo mein Geliebter mich schon erwartete.
    Wie ich dort empfangen wurde –
    Heilige Jungfrau! –
    das war die reinste Seeligkeit.
    Küßt’ er mich? Ja, Stund um Stund:
    tandaradei
    Seht wie rot mir ist der Mund.
     
    Nach Walther von der Vogelweide »Under der linden« , Strophen 1–2
     
     
    Zwei Tage lang hatte die polizeiliche Untersuchung gedauert. Jenny war vom Comissario über eine Stunde lang befragt worden. Schließlich hatte er ihr, Arthur und dem verbliebenen Rest der Delegation die Erlaubnis zur Heimreise erteilt – nicht ohne ihnen das Versprechen abzunehmen, sich für eventuelle Nachfragen zur Verfügung zu halten.
     
    Wie die übereinstimmenden Zeugenaussagen der Zuschauer ergeben hatten, trug keiner von ihnen die Schuld am Tod Xenia Schmied-Schmiedhausens. Die Obduktion der Leiche war, wie
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