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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden
Autoren: Sigrid Neureiter
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seiner Schwester nicht lange geheim geblieben war, sich bei seinen Eltern in St. Magdalena zeigen müsse.
    Von Arthur wusste Jenny darüber hinaus, dass Lenz sich auch darum kümmerte, über seinen Onkel, der über einflussreiche Verbindungen verfügte, das ganze Prozedere der Untersuchung zu beschleunigen und ihnen damit rascher die Heimreise zu ermöglichen. Was ihm offenbar gelungen war, wie Jenny teils erleichtert, aber auch ein wenig wehmütig festgestellt hatte. Sie würde keine Gelegenheit mehr haben, mit Lenz unter vier Augen zu reden, obwohl, wie sie sich mittlerweile eingestand, sie sich gerade das wünschte. Als sie dann aber das Tonband abhörte, hatte sie rasch zum Handy gegriffen. Lenz war sofort mit einem Treffen einverstanden.
    »Geht euer Zug morgen kurz vor elf. Treffen wir uns um halb zehn im Stadtcafé am Waltherplatz.« Von dort sei es nicht weit zum Bahnhof, hatte er noch hinzugefügt. Aber das wusste Jenny ohnehin.
    Sie hatte dafür gesorgt, dass die anderen sich um ihr Gepäck kümmerten, Mordred persönlich hatte sich dazu angeboten. Und Tina und Lukas hatten sich wegen der fingierten Rätsel, deren Opfer Jenny und Lenz geworden waren, bei ihr entschuldigt. Aber sie war ihnen ohnehin nicht böse. Immerhin hatten die beiden durch ihr heimliches Verschwinden aus der Villa die Suche nach ihr beschleunigt. Dass Lukas und Tina sich nur deshalb davongestohlen hatten, um im Mondschein auf die Burg zu wandern und sich »Der Name der Rose« anzusehen, war, nachdem sich alles andere aufgeklärt hatte, auch noch herausgekommen. Mordred nahm, soweit Jenny das beurteilen konnte, die Romanze der beiden mittlerweile gelassen hin.
    So hatten sich die zahlreichen losen Ereignisfäden schließlich doch noch zu einem eng gewobenen Ganzen zusammengefügt, das freilich stets von Xenias Selbstmord überschattet sein würde. Jenny sagte sich einmal mehr, dass niemand die schreckliche Tat ungeschehen machen konnte. Aber vielleicht würde es ihr gelingen, mittels ihres Tonbandes zumindest die Texte des vernichteten Manuskripts zu rekonstruieren. Und dabei sollte ihr Lenz mit seinem Urteil jetzt helfen. Alles Weitere würde sich schon finden.
     
    *
     
    »Bin ich jetzt aber gespannt, was du mir erzählst.« Nach der Begrüßung war er gleich zur Sache gekommen. Aufgeregt berichtete Jenny ihm von den Aufnahmen, die sie gemacht und erst gestern Abend angehört hatte.
    »Es scheint, dass Xenia die Wahrheit gesagt hat: Blasius und Francesca haben aus der unbekannten Handschrift gesungen.« Jenny registrierte, wie Lenz sie erwartungsvoll ansah, und sprach rasch weiter: »Ich bin mir aber nicht sicher, ob es wirklich einen so großen Unterschied gibt. Ich meine ja, aber mein Studium liegt schon eine Weile … Weißt du was, am besten, ich spiele es dir vor.«
    Jenny holte das Diktiergerät, das sie griffbereit im Zigarettenschachtelfach ihrer Handtasche verstaut hatte, hervor und schaltete es ein. Gleich darauf erklang Blasius’ wohltönender Bariton, begleitet von der Laute und im Refrain auch von Francesca:
     
    Ich hatte für uns
    Aus Blumen so bunt
    Ein weiches Lager hergerichtet.
    Ich sah nicht den andern,
    der sie begehrte,
    mit einem Pfeil hat er sie vergiftet.
    An den Blutstropfen Ihr erkennt
    Tandaradei
    Wo ich meine Liebste hingelegt.
    Dass sie mich liebte,
    er wusste es,
    doch wollte er es nicht wahrhaben.
    Bevor er sie mir ließ,
    niemals jemals
    sollten wir unser Glück genießen.
    Deshalb hat er ihr das angetan
    Tandaradei
     
    Ich gebe mir die Schuld daran. 1
     
     
    Jenny schaltete das Gerät wieder ab.
    »Ist das Walthers Lindenlied, aber in einer neuen Version. Singt nicht das junge Mädchen, wie in dem Lied, das wir kennen, sondern der Dichter selbst.« Lenz sah nachdenklich auf das Waltherdenkmal, das in einiger Entfernung von der Terrasse des Stadtcafés, auf der sie sich befanden, aufragte.
    »Ja, und es gab offenbar einen Nebenbuhler, der das Mädchen getötet hat. Auch die anderen Lieder handeln von einer ähnlichen Thematik. Das wirft tatsächlich ein ganz neues Licht auf Walther. Er schien im Alter ein sehr trauriger, einsamer Mann gewesen zu sein. Und nicht der große Dichter des Reiches, wie wir ihn bisher kannten.«
    Jenny hatte, durch Lenz ermutigt, ihre Überlegungen ohne Pause vorgebracht. Jetzt kam ihr aber ein Gedanke, der sie zögern ließ.
    »Aber du müsstest das doch schon an dem Abend auf der Burg verstanden haben. Du bist doch Assistent bei Arthur. Ja, und was ist eigentlich mit
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