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Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist

Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist

Titel: Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
Autoren: Donna Leon
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drehte ihn zweimal im Schloß und betrat die Wohnung. Wenigstens war es jetzt reinlich hier. Einmal, ungefähr ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes, hatte sich über eine Woche lang niemand blicken lassen, und die alte Frau war ganz auf sich allein gestellt. Er erinnerte sich bis heute an den Gestank, der ihm entgegenschlug, als er beim nächsten seiner damals vierzehntägigen Besuche die Tür aufgesperrt hatte und in der Küche einen Tisch voller Schüsseln und Teller mit verdorbenen Speisen fand, die in der brütenden Julihitze vor sich hin faulten. Und an den Anblick des von Fettwülsten gepanzerten Körpers der Alten, wie sie nackt und mit Essensresten besudelt in einem Sessel vor dem ewig plärrenden Fernseher hockte. Damals war sie, vollkommen dehydriert und geistig verwirrt, im Krankenhaus gelandet, wo man ihrer freilich schon nach drei Tagen überdrüssig wurde und sie, ihrem eigenen Wunsch gemäß, nur zu gern nach Hause entließ. Dann war die Ukrainerin gekommen, die einen knappen Monat später mitsamt einem silbernen Serviertablett verschwand, und seine Visiten wurden auf einmal pro Woche erhöht. Ansonsten hatte sich nichts verändert: Das Herz der Alten schlug weiter, ihre Lunge sog unverdrossen die stickige Wohnungsluft ein, und die Fettwülste wurden immer dicker.
    Der Tisch am Eingang, auf dem er seine Tasche abstellte, war erfreulich sauber, ein sicheres Zeichen dafür, daß die Rumänin immer noch da war. Er nahm das Stethoskop, hakte es hinter die Ohren und ging ins Wohnzimmer.
    Wäre der Fernseher nicht gelaufen, hätte er das Geräusch vermutlich schon vom Flur aus gehört. Aber auf dem Bildschirm verlas die mehrfach geliftete Blondine mit den Shirley-Temple-Locken gerade den Verkehrsbericht, warnte die Autofahrer im Veneto vor den zu erwartenden Behinderungen durch traffico intenso auf der A4 und übertönte das emsige Summen der Fliegen, die geschäftig den Kopf der Alten umschwirrten.
    An den Anblick toter Greise war er gewöhnt, nur ging das Sterben im hohen Alter normalerweise gesitteter vonstatten als hier. Alte Menschen scheiden leise aus der Welt oder qualvoll, je nachdem, aber weil sie den Tod kaum noch als Bedrohung empfinden, widersetzen sich ihm die wenigsten mit Gewalt. Das hatte auch sie nicht getan.
    Wer immer sie getötet hatte, mußte sie völlig überrumpelt haben, denn die leere Tasse und die Fernbedienung auf dem Tisch neben ihr waren unversehrt geblieben. Die Fliegen kreisten rastlos zwischen einer Schale mit frischen Feigen und Signora Battestinis Kopf. Die Arme der Toten waren nach vorne ausgestreckt, die linke Wange berührte den Boden. Die Wunde am Hinterkopf erinnerte ihn an einen Fußball, den der Hund seines Sohnes einmal so zerbissen hatte, daß zur Hälfte die Luft entwich. Im Gegensatz zum Kopf der Alten hatte die Hülle jedoch keinen Schaden genommen; nichts war ausgelaufen.
    Er blieb in der Tür stehen und ließ den Blick suchend durch den Raum schweifen. Allein er war so benommen, daß er nicht recht wußte, wonach. Vielleicht nach dem Leichnam der Rumänin; vielleicht fürchtete er auch, daß plötzlich aus einem anderen Zimmer der Mörder auftauchen könnte. Doch nein, dem war, wie ihm die Fliegen verrieten, reichlich Zeit zur Flucht geblieben. Endlich drang der Klang einer menschlichen Stimme in sein Bewußtsein, und er schaute auf, aber alles, was er erfuhr, war, daß sich auf der A3 unweit von Cosenza ein Unfall mit einem Laster ereignet hatte.
    Er durchquerte das Zimmer und stellte den Fernseher ab. Die Stille, die nun den Raum erfüllte, war weder gedämpft noch pietätvoll. Er überlegte, ob er in den anderen Zimmern nach der Rumänin suchen sollte, um ihr, sofern sie noch am Leben war, Beistand zu leisten. Statt dessen ging er zurück in den Flur, nahm das telefonino aus seiner Tasche, wählte die 113 und meldete einen Mord in Cannaregio.
    Die Polizei hatte wenig Mühe, das Haus zu finden, denn der Arzt hatte am Telefon erklärt, die Wohnung des Opfers befände sich am Anfang der calle rechts vom Palazzo del Cammello. Geschmeidig legte die Barkasse am Südufer des Canale della Madonna an. Zwei uniformierte Beamte sprangen ans Ufer, von denen einer sich gleich wieder zum Boot hinunterbeugte und den drei Kriminaltechnikern beim Entladen ihrer Ausrüstung half.
    Inzwischen war es fast eins geworden. Den Männern rann der Schweiß von der Stirn, und bald klebten ihnen die Jacken am Leib. Während sie über die Hitze fluchten und sich ein ums andere Mal den
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