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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Autoren: Donna Leon
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des Löwen womöglich für das sicherste Versteck gehalten habe. Wer immer auf seine Frau geschossen hatte, würde sich hüten, die Akademie in einen Skandal zu verwickeln. Vielleicht war die Einschulung seines Sohnes in San Martino aber auch nur als Täuschungsmanöver gedacht.
    Moros Gesicht verzog sich zu etwas, das vielleicht einmal ein Lächeln gewesen war. »Weil ich ihn nicht aufhalten konnte, Commissario. Es war die größte Niederlage meines Lebens, daß Ernesto Soldat werden wollte. Aber das war sein sehnlichster Wunsch, schon seit er ein kleiner Junge war. Und nichts, was ich sagte oder tat, konnte ihn davon abbringen.«
    »Aber warum haben die ihn dann umgebracht?« fragte Brunetti.
    Als Moro nach einigem Zögern antwortete, schien er erleichtert, endlich darüber sprechen zu können. »Weil sie dumm sind und nicht glauben wollten, daß es so leicht war, mich aufzuhalten. Weil ich ein Feigling war und nicht gegen sie aufgestanden bin.« Lange saß er gedankenversunken da, ehe er fortfuhr. »Oder vielleicht war Ernesto auch kein solcher Feigling wie ich. Er wußte, daß ich einmal so einen Bericht geplant hatte, und vielleicht hat er ihnen damit gedroht.«
    Obwohl es kühl war in seinem Büro, sah Brunetti Schweißperlen auf Moros Stirn, die ihm langsam übers Gesicht rannen, bis hinunter zum Kinn, wo der Doktor sie mit dem Handrücken auffing. Dann sagte er: »Ich werde nie erfahren, wie es wirklich war.«
    Die beiden Männer saßen sich lange schweigend gegenüber, ohne jede Regung, bis auf die matte Geste, mit der Moro sich hin und wieder den Schweiß vom Gesicht wischte. Als seine Stirn wieder trocken war, fragte Brunetti: »Was soll ich tun, Dottore?«
    Moro hob den Kopf und sah Brunetti aus Augen an, die in der letzten halben Stunde noch trauriger geworden waren.
    »Sie wollen, daß ich Ihnen die Entscheidung abnehme?«
    »Nein. Das nicht. Oder nicht nur. Ich möchte, daß Sie sie für sich selbst treffen. Und für Ihre Familie.«
    »Und Sie werden sie in jedem Falle akzeptieren?« fragte Moro.
    »Ja.«
    »Ohne Rücksicht auf Recht und Gerechtigkeit?« Moro legte eine sehr häßliche Betonung auf das letzte Wort.
    »Ja.«
    »Wieso?« fuhr Moro ihn zornig an. »Ist Ihnen die Gerechtigkeit so wenig wert?«
    Brunetti war mit seiner Geduld am Ende. »Hier gibt es keine Gerechtigkeit, Dottore«, sagte er und stellte erschrocken fest, daß er damit nicht nur diesen Mann und seine Familie meinte, sondern auch seine Stadt, sein Land und ihrer aller Leben.
    »Dann lassen Sie es ruhen«, sagte Moro erschöpft. »Und lassen Sie ihm seinen Frieden.«
    Aller Anstand, den er in sich hatte, drängte Brunetti, diesem Mann etwas Tröstliches zu sagen, aber sosehr er auch nach Worten rang, sie wollten sich nicht einstellen. Er dachte an Moros Tochter und dann an seine eigene. Er dachte an seinen Sohn, an den von Filippi und den von Moro, und dann kamen die Worte wie von selbst: »Der arme Junge.«
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