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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Autoren: Donna Leon
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nicht auf mich hören.« Paolo preßte die Hände zusammen und legte sie züchtig gefaltet auf den Tisch.
    »Er hatte schon alles vorbereitet, und als ich in den Waschraum kam, zeigte er mir das Seil. Es war da, wo es auch hinterher ... ich meine, wo man ihn gefunden hat. Es war so lang, daß er damit über den Boden kriechen und so tun konnte, als ob er stolpern und hinfallen würde. Dann sollte sich das Seil straff ziehen und ihn würgen. Und das wäre dann das Tolle daran. So hat er es jedenfalls beschrieben.«
    Schweigen. Durch die Wand hörte man ein schwaches Summen: Computer? Kassettenrecorder? Gleichgültig, es interessierte niemanden.
    Brunetti blieb auffallend stumm.
    Der Junge setzte aufs neue an. »Und dann hat er es also gemacht. Ich meine, erst hat er sich den Strick umgelegt und dann eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Er rief mir etwas zu, aber auf einmal bekam er einen Lachkrampf, und ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Ich weiß noch, daß er auf mich zeigte und wieder zu lachen anfing, und dann zappelte er so komisch ... und nach einer Weile sackte er zusammen und kippte zur Seite weg.«
    Das Gesicht des Jungen war rot angelaufen, und Brunetti sah, wie sich seine Hände verkrampften. Aber er sprach trotzdem weiter, konnte jetzt nicht eher aufhören, als bis er sich alles von der Seele geredet hatte. »Er strampelte mit den Beinen, und seine Hände ruderten wie wild durch die Luft. Und auf einmal fing er an zu schreien und schlug wie verrückt um sich. Ich versuchte ihn zu fassen, aber er zappelte so wahnsinnig, daß er mich aus der Kabine stieß. Ich bin trotzdem wieder rein und habe versucht, den Strick zu lösen, aber die Plastiktüte war so rutschig, und ich kam nicht ran an das Seil, und als ich es endlich doch gepackt hatte, da kriegte ich den Knoten nicht auf, weil Moro so wild um sich schlug. Und dann ... dann hörte er auf zu strampeln, aber als ich endlich an ihn rankam, da war es zu spät - ich glaube, er war schon tot.«
    Der Junge wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
    »Und was haben Sie dann gemacht, Paolo?« fragte Brunetti.
    »Ich weiß nicht mehr. Zuerst habe ich einfach nur daneben gestanden. Ich hatte noch nie einen Toten gesehen. Tut mir leid, aber ich weiß nicht, was ich gemacht habe.« Er hob den Kopf, schlug jedoch gleich wieder die Augen nieder. Brunetti sah, wie der Vater die Linke über die verkrampften Hände seines Sohnes legte, sie einmal tröstend drückte und seine Hand dann darauf ruhen ließ.
    Ermutigt durch diesen väterlichen Beistand, fuhr Paolo fort: »Ich hab wohl Panik gekriegt. Ich dachte, es sei meine Schuld, weil ich ihn nicht hatte retten oder davon abhalten können. Vielleicht wäre das ja möglich gewesen, aber ich hab's nicht geschafft.«
    »Was haben Sie dann gemacht, Paolo?« wiederholte Brunetti.
    »Ich konnte kaum klar denken, aber ich wollte nicht, daß man ihn so findet. Dann hätte doch jeder gewußt, was passiert war.«
    »Und?« drängte Brunetti.
    »Ich weiß selber nicht, wie ich darauf kam, aber ich dachte, wenn es nach Selbstmord aussähe, dann - na ja, das wäre auch furchtbar, aber doch nicht so schlimm wie ... wie das andere.« Diesmal hakte Brunetti nicht nach, sondern hoffte, daß der Junge von allein weiterreden würde.
    »Also habe ich versucht, es so aussehen zu lassen, als ob er sich erhängt hätte. Ich wußte, ich mußte ihn aufrichten und dann so dort zurücklassen.« Brunettis Blick fiel auf die verschlungenen Hände von Vater und Sohn. Die Knöchel des Maggiore sprangen weiß hervor. »Und so habe ich es dann gemacht. Und ihn allein gelassen.« Der Junge öffnete den Mund und sog so gierig die Luft ein, als sei er kilometerweit gerannt.
    »Und die Plastiktüte?« fragte Brunetti, als Paolos Atem wieder ruhiger ging.
    »Die habe ich mitgenommen und später weggeworfen. Ich weiß nicht mehr genau, wohin. In irgendeine Mülltonne.«
    »Und dann?«
    »Ich kann mich kaum noch erinnern. Ich glaube, ich bin zurück auf mein Zimmer.«
    »Hat Sie jemand gesehen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ihr Zimmerkamerad?«
    »Ich erinnere mich nicht. Vielleicht. Aber ich weiß kaum noch, wie ich nach oben gekommen bin.«
    »Wann setzt Ihre Erinnerung denn wieder ein, Paolo?«
    »Am nächsten Morgen weckte mich Zanchi und sagte mir, was passiert sei. Und da war es zu spät, um noch irgendwas zu ändern.«
    »Und warum haben Sie sich jetzt doch zu einer Aussage entschlossen?« fragte Brunetti.
    Der Junge schüttelte den Kopf. Er
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