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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta
Autoren: Donna Leon
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wohl ziemlich steif sein. Er hat gesagt, daß nichts zurückbleibt.« Weil es die einzige gute Nachricht war, die sie hatte, vervollständigte sie die Aussage des Arztes: »In ein paar Tagen nehmen sie dir die Drähte wieder heraus. Es ist nur ein Haarriß. Und deine Zähne sind unbeschädigt.« Als sie sah, wie wenig sie Brett damit aufmunterte, fügte sie hinzu: »Die Nase auch.« Noch immer kein Lächeln. »Keine Narben im Gesicht. Wenn die Schwellung erst einmal abgeklungen ist, siehst du wieder aus wie neu.« Flavia sagte nichts über die Narben, die Brett auf dem Rücken behalten würde, noch äußerte sie sich darüber, wie lange es dauern werde, bis die Schwellungen und Blutergüsse aus ihrem Gesicht verschwunden sein würden.
    Brett merkte plötzlich, wie sehr diese kurze Unterhaltung sie ermüdet hatte, und wieder zerrte der Schlaf an ihr. »Geh für ein Weilchen nach Hause, Flavia. Ich werde jetzt schlafen, und dann ...« Ihre Stimme verebbte, bevor sie den Satz noch beenden konnte, und schon schlief sie. Flavia setzte sich in ihrem Sessel zurecht und inspizierte das zerschundene Gesicht, das zur Seite gedreht vor ihr auf dem Kissen lag. Die Blutergüsse an Stirn und Wangen hatten sich innerhalb der letzten anderthalb Tage fast schwarz verfärbt, und das eine Auge war noch zugeschwollen. Bretts Unterlippe war um den vertikalen Riß herum angeschwollen und klaffte weit auseinander.
    Man hatte Flavia mit Gewalt aus dem Behandlungszimmer fernhalten müssen, während die Ärzte an Brett arbeiteten, ihren Rücken säuberten und ihren Brustkorb bandagierten. Sie war auch nicht dabeigewesen, als sie ihr die dünnen Drähte zwischen den Zähnen hindurchfädelten und ihren Kiefer fixierten. Sie hatte nur auf dem langen Korridor des Krankenhauses auf und ab tigern und ihre Ängste denen der anderen Besucher und Patienten zugesellen können, die in kleinen Grüppchen in die Cafeteria gingen und das bißchen Licht suchten, das in den kleinen Hof fiel. Sie war eine Stunde lang nur auf und ab gegangen und hatte sich von verschiedenen Leuten drei Zigaretten erbettelt, die ersten, die sie seit über zehn Jahren wieder rauchte.
    Seit dem späten Sonntag nachmittag hatte sie an Bretts Bett gesessen und gewartet, daß sie aufwachte, war nur gestern einmal kurz in die Wohnung zurückgegangen, um zu duschen und einige Telefonate zu führen, wobei sie auch die angebliche Krankheit erfand, die sie heute abend davon abhielt, an der Scala zu singen. Ihre Nerven waren angespannt durch Schlafmangel, zuviel Kaffee, das erneute Verlangen nach einer Zigarette und diesen öligen Schmierfilm von Angst, der sich all denen auf die Haut legt, die sich zu lange in einem Krankenhaus aufhalten müssen.
    Sie sah zu ihrer Geliebten hinüber und wünschte sich erneut, sie hätte den Mann umgebracht, der das getan hatte. Flavia Petrelli hatte wenig Sinn für Reue, aber um so mehr für Rache.

3
    Hinter ihr ging die Tür auf, aber Flavia wandte den Kopf nicht um, wer es war. Eine Schwester wahrscheinlich. Ein Arzt wohl kaum; die waren rar hier. Kurz darauf hörte sie eine Männerstimme fragen: »Signora Petrelli?«
    Sie drehte sich um, wobei sie überlegte, wer das wohl sein konnte und wie er sie hier ausfindig gemacht hatte. An der Tür stand ein relativ großer, kräftig gebauter Mann, der ihr entfernt bekannt vorkam, aber sie konnte ihn nicht einordnen. Einer der Stationsärzte? oder schlimmer, ein Reporter?
    »Guten Morgen, Signora«, sagte er, wobei er regungslos in der Tür stehenblieb. »Ich bin Guido Brunetti. Wir haben uns vor ein paar Jahren schon einmal getroffen.«
    Es war der Polizist, der damals in der Wellauer-Sache ermittelt hatte. Nicht unintelligent, erinnerte sie sich, und Brett hatte ihn aus Gründen, die Flavia nie ganz verstanden hatte, simpatico gefunden.
    »Guten Morgen, Dottor Brunetti«, antwortete Flavia förmlich und bewußt leise. Sie stand auf, vergewisserte sich mit einem Blick, daß Brett noch schlief, und ging zu ihm hinüber. Sie reichte ihm die Hand, und er drückte sie kurz.
    »Hat man den Fall jetzt Ihnen übergeben?« fragte sie. Als die Worte heraus waren, merkte sie, wie aggressiv ihre Frage geklungen hatte, und es tat ihr leid.
    Er überging ihren Ton. »Nein, Signora. Ich habe Dottoressa Lynchs Namen im Protokoll von dem Überfall gesehen und wollte wissen, wie es ihr geht.« Noch bevor Flavia eine Bemerkung über seine Langsamkeit machen konnte, erklärte er: »Den Fall bearbeitet ein Kollege, ich habe den
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