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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta
Autoren: Donna Leon
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ihr Gesicht, wo Schmerz lauerte, zum Rücken, der warm pochte, und dann zu ihren Händen. Eine war kalt, die andere warm. Stunden lag sie, wie es ihr vorkam, reglos da und dachte darüber nach: Wie konnte eine Hand kalt und die andere warm sein? Eine Ewigkeit grübelte sie über diesem Rätsel.
    Eine warm, eine kalt. Sie beschloß, die Hände zu bewegen, um zu sehen, ob das etwas änderte, und unendlich viel später fing sie damit an. Sie versuchte die Hände zu Fäusten zu ballen und konnte sie doch nur ein ganz klein wenig bewegen. Aber es genügte - die warme Hand wurde von intensiverer Wärme umschlossen und von oben und unten kaum merklich gedrückt. Sie hörte eine Stimme, von der sie wußte, daß sie ihr vertraut war, aber sie erkannte sie nicht. Warum sprach diese Stimme Italienisch? Oder war es Chinesisch? Sie verstand die Worte, konnte sich aber nicht erinnern, welche Sprache es war. Erneut bewegte sie die Hand. Wie angenehm diese Wärme gewesen war. Sie versuchte es noch einmal, und wieder hörte sie die Stimme antworten, spürte die Wärme. Oh, wie wunderbar. Da waren Worte, die sie verstand, und Wärme, und ein Teil ihres Körpers, der schmerzfrei war. Beruhigt schlief sie ein.
    Endlich war sie bei Bewußtsein und verstand, warum eine Hand warm und die andere kalt war. »Flavia«, flüsterte sie kaum hörbar.
    Der Druck um ihre Hand verstärkte sich. Die Wärme auch. »Ich bin hier«, sagte Flavia ganz dicht an ihrem Ohr.
    Ohne zu wissen, woher, verstand Brett, daß sie den Kopf nicht drehen konnte, um etwas zu sagen oder ihre Freundin anzusehen. Sie versuchte ein Lächeln, wollte sprechen, aber etwas hielt ihr den Mund zu. Sie versuchte zu schreien, um Hilfe zu rufen, doch die unsichtbare Macht hielt ihr den Mund zu.
    »Nicht sprechen, Brett«, sagte Flavia, wobei sie den Druck ihrer Hand verstärkte. »Nicht den Mund bewegen. Er ist mit Draht fixiert. Du hast einen Kiefer gebrochen. Versuch bitte nicht zu sprechen. Es ist alles in Ordnung. Du wirst wieder gesund.«
    Es war sehr schwer, alle diese Wörter zu begreifen. Aber der Druck von Flavias Hand genügte, der Klang ihrer Stimme reichte aus, um sie zu beruhigen.
    Als sie aufwachte, war sie voll bei Bewußtsein. Es war noch immer ziemlich anstrengend, das eine Auge zu öffnen, aber sie konnte es, auch wenn das andere nicht aufgehen wollte. Sie seufzte, erleichtert, daß sie es nicht mehr nötig hatte, ihren Körper mit Tricks zu überlisten. Sie blickte um sich und sah Flavia, die auf ihrem Sessel zusammengesunken schlief, den Kopf nach hinten gelehnt, den Mund leicht geöffnet. Schlaff hingen ihre Arme links und rechts herunter, ganz dem Schlaf hingegeben.
    Während sie Flavia beobachtete, erforschte Brett erneut ihren Körper. Vielleicht konnte sie Arme und Beine irgendwie bewegen, auch wenn es schmerzte. Sie lag offenbar auf der Seite, und ihr Rücken tat weh, ein dumpfer, brennender Schmerz. Nachdem sie nun wußte, daß dies das schlimmste war, versuchte sie, den Mund zu öffnen, und spürte den gräßlichen Druck an den Zähnen. Der Kiefer war mit Drähten fixiert, aber sie konnte die Lippen bewegen. Am schlimmsten war, daß ihre Zunge im Mund eingesperrt war. Bei dieser Erkenntnis überkam sie regelrechte Panik. Wenn sie nun husten mußte? Sich verschluckte? Sie verdrängte den Gedanken mit Gewalt. Wenn sie so klar denken konnte, war sie schon wieder obenauf. Sie sah keine Schläuche an ihrem Bett, keine Streckvorrichtungen. Schlimmer, als es schien, konnte es also nicht sein, und das war erträglich. Gerade noch. Aber doch erträglich.
    Urplötzlich erkannte sie, daß sie Durst hatte. Ihr Mund brannte, die Kehle schmerzte. »Flavia«, sagte sie, aber sie hörte sich kaum selbst. Flavia öffnete die Augen und starrte voller Schrecken um sich, wie sie es immer tat, wenn sie plötzlich aufwachte. Nach einer kleinen Weile beugte sie sich ganz nah an Bretts Gesicht heran.
    »Flavia, ich habe Durst«, flüsterte Brett.
    »Und dir auch einen wunderschönen guten Morgen«, antwortete Flavia, laut lachend vor Erleichterung. Da wußte Brett, daß es ihr bald bessergehen würde.
    Flavia drehte sich um und nahm ein Glas Wasser von dem Tisch hinter ihr. Sie bog den Plastikstrohhalm und schob ihn Brett zwischen die Lippen, gewissenhaft auf der linken Seite, weit weg von der geschwollenen Platzwunde, die ihren Mund verzerrte. »Ich habe sogar Eis hineingetan, wie du es gern magst«, sagte sie, während sie den Strohhalm festhielt, solange Brett zu trinken
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