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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta
Autoren: Donna Leon
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aber ungesagt.
    »Als du die deine?« fragte er ohne Bereitschaft, es zu glauben.
    »Auf eine Weise ist das wohl so.« Als sie sah, daß er widersprechen wollte, legte sie ihm die Hand auf den Arm und erklärte: »Sieh es einmal so, Guido. Jeder kann kommen und mich singen hören und sich vor Begeisterung überschlagen, dabei braucht er überhaupt nichts von Musik oder Gesang zu verstehen. Ihm gefällt vielleicht mein Kostüm oder die Handlung, oder vielleicht schreit er auch nur brava, weil alle schreien.« Sie sah ihm an, daß er ihr nicht glaubte, und beharrte: »Das stimmt. Glaub mir. Nach jeder Vorstellung ist meine Garderobe voll von Leuten, die mir sagen, wie wunderbar ich gesungen hätte, selbst wenn ich an dem Abend gejault habe wie ein Hund.« Er sah, wie sich die Erinnerung daran auf ihrem Gesicht spiegelte, und da wußte er, daß sie die Wahrheit sagte.
    »Aber überleg mal, was Brett macht. Nur ganz wenige Leute wissen etwas über ihre Arbeit, abgesehen von denen, die wirklich verstehen, was sie macht; das sind alles Experten, darum begreifen sie die Bedeutung ihrer Arbeit. Der Unterschied ist wahrscheinlich, daß sie nur von ihresgleichen beurteilt werden kann, darum liegt die Meßlatte viel höher, und ein Lob bedeutet wirklich etwas. Mir kann jeder Trottel applaudieren, dem es Spaß macht, in die Hände zu klatschen.«
    »Aber was du tust, ist etwas Schönes.«
    Sie lachte laut. »Laß das nicht Brett hören.«
    »Warum nicht? Ist sie anderer Meinung?«
    Noch immer lachend, erklärte sie: »Nein, Guido, du hast mich mißverstanden. Sie findet, was sie macht, ist auch etwas Schönes, und sie findet die Dinge, mit denen sie zu tun hat, so schön wie die Musik, die ich singe.«
    »Dabei fällt mir ein«, sagte er, »es gibt da etwas, was ich nicht verstehe.« Und dann lachte er, als ihm aufging, wie genau das stimmte.
    Ihr Lächeln war vorsichtig, fragend. »Und das wäre?«
    »Es hat mit Bretts Aussage zu tun«, erklärte er. Flavias Gesicht entspannte sich. »Sie schreibt, daß La Capra ihr eine Schale gezeigt hat, eine chinesische Schale. Ich weiß nicht mehr, aus welchem Jahrhundert sie angeblich stammte.«
    »Aus dem dritten Jahrtausend vor Christus«, belehrte ihn Flavia.
    »Hat sie dir davon erzählt?«
    »Aber sicher.«
    »Dann kannst du es mir vielleicht erklären.« Sie nickte, und er fuhr fort. »Sie sagt, sie hat die Schale zerbrochen, hat sie fallen lassen, wobei sie genau wußte, daß sie zerbrechen würde.«
    Flavia nickte. »Ja, wir haben darüber gesprochen. So hat sie es erzählt. So war es auch.«
    »Und eben das verstehe ich nicht«, sagte Brunetti.
    »Was?«
    »Wenn sie diese Dinge so sehr liebt, wenn sie alles daransetzt, sie zu bewahren, dann muß dieses Gefäß doch eine Fälschung gewesen sein, oder? Eine der Imitationen, die La Capra in dem Glauben gekauft hat, sie wären echt?«
    Flavia sagte nichts, sie wandte den Kopf und schaute zu der verlassenen Kornmühle am Ende der Giudecca hinüber.
    »Nun?« drängte Brunetti.
    Sie drehte sich wieder um und sah ihn an. Die Sonne schien von links auf sie, und ihr Profil hob sich klar vor den Gebäuden auf der anderen Seite des Kanals ab. »Nun was?« fragte sie.
    »Es muß eine Fälschung gewesen sein, sie hätte sie doch sonst nicht kaputtgemacht, oder?«
    Zuerst glaubte er, sie wolle seine Frage ignorieren oder zumindest nicht beantworten. Die Spatzen kamen wieder, und diesmal zerpflückte Flavia den Rest der Brioche und warf ihnen die Krumen hin. Beide sahen den kleinen Vögeln zu, wie sie die goldgelben Krumen aufpickten und dann erwartungsvoll zu Flavia hochsahen. Sie blickten gleichzeitig von den neugierigen Vögeln auf und sahen sich an. Nach einer ganzen Weile wandte sie den Kopf und schaute das Ufer hinunter, wo sie ihre Kinder zurückkommen sah, Eiswaffeln in den Händen.
    »Nun?« fragte Brunetti; er mußte es einfach wissen.
    Sie hörten Vivis lautes Lachen übers Wasser schallen.
    Flavia beugte sich vor und legte ihm wieder die Hand auf den Arm. »Guido«, meinte sie lächelnd, »ist das nicht egal?«
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