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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta
Autoren: Donna Leon
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versuchte. Ihre Lippen waren wie versiegelt, aber schließlich gelang es ihr, sie an einer Ecke zu öffnen, und herrlich kaltes Wasser umspülte ihre Zähne und floß in ihre Kehle.
    Schon nach wenigen Schlucken zog Flavia das Glas weg und sagte: »Nicht so viel. Warte ein wenig, dann bekommst du mehr.«
    »Ich fühle mich wie narkotisiert«, sagte Brett.
    »Das bist du auch, cara. Alle paar Stunden kommt eine Schwester und gibt dir eine Spritze.«
    »Wie spät ist es?«
    Flavia sah auf ihre Armbanduhr. »Viertel vor acht.«
    Die Zahl sagte Brett gar nichts. »Tag oder Nacht?«
    »Tag.«
    »Welcher Tag?«
    Flavia lächelte und antwortete: »Dienstag.«
    »Dienstag früh?«
    »Ja.«
    »Warum bist du hier?«
    »Wo soll ich denn sonst sein?«
    »In Mailand. Du mußt heute abend singen.«
    »Dafür gibt es zweite Besetzungen, Brett«, meinte Flavia wegwerfend. »Damit sie einspringen, wenn die erste Garnitur krank wird.«
    »Aber du bist nicht krank«, murmelte Brett, durch Schmerzen und Medikamente begriffsstutzig geworden.
    »Laß das nicht den künstlerischen Direktor der Scala hören, sonst darfst du meine Vertragsstrafe bezahlen.« Flavia war bemüht, einen leichten Ton anzuschlagen.
    »Aber du sagst nie eine Vorstellung ab.«
    »Tja, nun habe ich es aber getan, und damit fertig. Ihr Amerikaner nehmt die Arbeit immer so ernst«, sagte Flavia. »Willst du noch etwas Wasser?«
    Brett nickte und bereute die Bewegung sofort. Sie lag ein paar Sekunden still und hielt die Augen geschlossen, bis Übelkeit und Benommenheit wieder abgeklungen waren. Als sie die Augen öffnete, sah sie Flavia, die sich mit dem Glas in der Hand über sie beugte. Wieder schmeckte sie die herrliche Kühle, schloß die Augen und ließ sich ein Weilchen wegdriften. Dann fragte sie plötzlich: »Was ist eigentlich passiert?«
    Bestürzt fragte Flavia: »Erinnerst du dich nicht?«
    Brett schloß wieder die Augen. »Doch. Ich erinnere mich. Ich hatte Angst, sie würden dich umbringen.« Wegen der verdrahteten Zähne dröhnte ihr Kopf bei jedem Wort.
    Flavia lachte darüber, spielte weiter die Tapfere. »Keine Chance. Wahrscheinlich habe ich zu oft die Tosca gespielt. Ich bin kurzerhand mit dem Messer auf sie losgegangen, und den einen habe ich am Arm erwischt.« Sie wiederholte die Bewegung, fuhr mit dem Arm durch die Luft und lächelte, offenkundig in Erinnerung daran, wie der Stich den Mann getroffen hatte. »Ich wünschte, ich hätte ihn umgebracht«, sagte Flavia beiläufig, und Brett glaubte es ihr.
    »Und dann?«
    »Abgehauen sind sie. Dann bin ich zu Luca runtergelaufen, und der ist rüber ins Krankenhaus, und dann haben wir dich hierhergebracht.« Während Flavia sie ansah, fielen Brett langsam die Augen zu, und sie schlief ein paar Minuten, den Mund halb offen, so daß die groteske Verdrahtung ihrer Zähne sichtbar war.
    Plötzlich öffnete sie das eine Auge und blickte um sich, als wäre sie überrascht, sich hier wiederzufinden. Sie sah Flavia und beruhigte sich.
    »Warum haben die das getan?« sprach Flavia jetzt die Frage aus, die sie seit zwei Tagen umtrieb.
    Es dauerte eine ganze Weile, ehe Brett antwortete: »Semenzato.«
    »Vom Museum?«
    »Ja.«
    »Und? Was haben sie gesagt?«
    »Ich verstehe es nicht.« Hätte Brett ohne Schmerzen den Kopf schütteln können, hätte sie es getan. »Ergibt keinen Sinn.« Ihre Worte klangen verzerrt infolge der schweren Klammer, die ihre Zähne zusammenhielt. Sie sagte noch einmal Semenzatos Namen und hielt dann lange die Augen geschlossen. Als sie sie wieder öffnete, fragte sie: »Was fehlt mir alles?«
    Flavia war auf die Frage vorbereitet und beantwortete sie kurz. »Zwei Rippen gebrochen. Und der Kiefer ist angeknackst.«
    »Was noch?«
    »Das ist das Schlimmste. Außerdem ist dein Rücken ziemlich übel aufgeschürft.« Sie sah Bretts Verwirrung und erklärte: »Du bist gegen die Wand gestürzt und im Fallen mit dem Rücken an den Steinen entlanggerutscht. Außerdem ist dein Gesicht ziemlich blau«, schloß Flavia, bemüht, es nicht so ernst klingen zu lassen. »Der Kontrast betont deine Augen, aber ich glaube, insgesamt gefällt mir das nicht so gut.«
    »Wie schlimm ist es denn?« fragte Brett, die den scherzhaften Unterton nicht mochte.
    »Ach, nicht allzu schlimm«, sagte Flavia, offensichtlich nicht ganz wahrheitsgetreu. Brett warf ihr einen langen, einäugigen Blick zu, der Flavia zu der Erläuterung zwang: »Dein Brustkorb muß noch bandagiert bleiben, und eine Woche oder so wirst du
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