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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Autoren: Hilary Mantel
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traf ein. »Falls der Kopf herauskommt«, sagte er, »würde ich ihn taufen.«
    »Wenn der Kopf herauskommt, sind unsere Sorgen vorbei«, sagte der Wundarzt.
    »Oder irgendein Körperteil«, sagte der Priester hoffnungsvoll. »Die Kirche befürwortet das.«
    Eulalie kam wieder ins Zimmer. Als sie die Tür öffnete, quoll die heiße Luft heraus. »Hier ist es ja furchtbar stickig. Ob ihr das gut tut?«
    »Unterkühlung kann verheerende Folgen haben«, sagte der Wundarzt. »Wobei …«
    »Dann die letzte Ölung«, schlug der Priester vor. »Ich hoffe, es gibt hier irgendwo einen geeigneten Tisch.«
    Er zog eine weiße Altardecke aus seiner Tasche, dann holte er seine Kerzen heraus. Die Gnade Gottes, handlich und transportabel, zum Gebrauch an Heim und Herd.
    Der Blick des Wundarztes schweifte über den Treppenabsatz. »Bringen Sie das Kind weg«, sagte er.
    Eulalie nahm ihn in die Arme: das Kind der Liebe. Als sie ihn hinuntertrug, schabte der Stoff ihres Kleides leise raschelnd über seine Wange.
    Eulalie wies die Kinder an, sich an der Eingangstür in einer Reihe aufzustellen. »Eure Handschuhe«, sagte sie. »Eure Mützen.«
    »Es ist doch warm«, sagte er. »Wir brauchen keine Handschuhe.«
    »Trotzdem«, sagte sie. Ihr Gesicht schien zu beben.
    Die Amme schob sich an ihnen vorbei, Augustin, den Säugling, mit einer Hand an die Schulter gepresst wie einen Sack. »Fünf in sechs Jahren«, sagte sie zu Eulalie. »Was kann man da erwarten? Diesmal hat sie eben Pech gehabt.«
    Sie gingen zu Großvater Carraut. Später am Tag kam Tante Eulalie und sagte, sie sollten für ihr Brüderchen beten. Großmutter Carraut formte mit den Lippen die lautlose Frage: »Getauft?« Tante Eulalie schüttelte den Kopf. Sie warf einen Blick auf die Kinder, der besagte: Kann jetzt nicht reden. Ebenfalls lautlos gab sie Großmutter zu verstehen: »Totgeburt.«
    Er schauderte. Tante Eulalie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss. »Wann kann ich nach Hause?«, fragte er.
    »Für ein paar Tage seid ihr bei Großmutter ganz gut aufgehoben, so lange, bis es eurer Mutter besser geht.«
    Doch er erinnerte sich an die graue Haut um ihren Mund. Er begriff, was dieser Mund zu ihm gesagt hatte: Bald liege ich im Sarg, bald werde ich begraben.
    Er fragte sich, warum man sie belog.
    Er zählte die Tage. Tante Eulalie und Tante Henriette waren mal hier, mal dort. Sie fragten: Wollt ihr denn nicht wissen, wie es eurer Mutter heute geht? Tante Henriette sagte zu Großmutter: »Maximilien fragt gar nicht, wie es seiner Mutter geht.«
    Großmutter erwiderte: »Er ist ein kalter Bursche.«
    Er zählte die Tage, bis sie sich entschließen würden, die Wahrheit zu sagen. Neun Tage verstrichen. Sie saßen beim Frühstück, bei Brot und Milch, als Großmutter hereinkam.
    »Ihr müsst jetzt sehr tapfer sein«, sagte sie. »Eure Mutter ist zu Jesus gegangen.«
    Zum Jesuskind, dachte er. Und sagte: »Ich weiß.«
    Er war sechs, als das geschah. Ein weißer Vorhang flatterte in dem leichten Wind, der durch das offene Fenster hereinkam, ein paar Spatzen hüpften auf dem Fensterbrett herum; Gottvater, himmlische Wolken im Gefolge, blickte von einem Bild an der Wand herab.
    Einen oder zwei Tage später deutete seine Schwester Charlotte auf den Sarg, und die kleinere Schwester Henriette saß unbeachtet in einer Ecke und quengelte.
    »Ich lese dir was vor«, sagte er zu Charlotte. »Aber nicht aus dem Tierbuch. Das ist mir zu kindisch.«
    Später hob ihn die erwachsene Henriette, seine Tante, hoch, damit er in den Sarg schauen konnte, bevor der Deckel geschlossen wurde. Sie zitterte und sagte über seinen Kopf hinweg: »Ich wollte nicht, dass er sie sieht, aber Großvater Carraut hat gesagt, es muss sein.« Er begriff sehr gut, dass das seine Mutter war, diese Leiche mit der schmalen Hakennase und den schrecklichen papiernen Händen.
    Tante Eulalie rannte auf die Straße hinaus. Sie sagte: »François, bitte!« Maximilien lief ihr hinterher, griff nach ihrem Rock; er sah, dass sich sein Vater kein einziges Mal umdrehte. François schritt zügig in Richtung Stadt aus. Tante Eulalie zog das Kind wieder mit sich ins Haus. »Er muss die Todesurkunde unterzeichnen«, sagte sie. »Aber er sagt, dass er seinen Namen nicht daruntersetzen wird. Was machen wir jetzt?«
    Am nächsten Tag kam François wieder. Er roch nach Weinbrand, und Großmutter sagte, es sei offensichtlich, dass er bei einer Frau gewesen sei.
    In den folgenden Monaten begann François stark zu
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