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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Autoren: Hilary Mantel
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trinken. Er vernachlässigte seine Klienten, die bald woandershin gingen. Er verschwand manchmal tagelang, und eines Tages packte er eine Tasche und erklärte, er gehe für immer.
    Sie sagten – Großmutter und Großvater Carraut –, sie hätten ihn eh nie gemocht. Wir haben keinen Streit mit den de Robespierres, sagten sie, das sind anständige Menschen, aber er ist kein anständiger Mensch. Zunächst erhielt man die Fiktion aufrecht, dass er in einer anderen Stadt an einem aufwendigen, prestigeträchtigen Fall arbeite. Von Zeit zu Zeit schneite er tatsächlich wieder herein, meistens um sich Geld zu leihen. Die älteren de Robespierres sahen sich – »in unserem Lebensalter« – außerstande, seinen Kindern ein Heim zu bieten. Großvater Carraut nahm die beiden Jungen zu sich, Maximilien und Augustin. Tante Eulalie und Tante Henriette erklärten sich bereit, die beiden kleinen Mädchen aufzunehmen.
    Irgendwann in seiner Kindheit fand Maximilien heraus – oder bekam es erzählt –, dass er außerehelich gezeugt worden war. Wahrscheinlich interpretierte er das auf die schlimmstmögliche Weise, denn von diesem Moment an sprach er nie wieder von seinen Eltern.
    1768 tauchte François de Robespierre nach zweijähriger Abwesenheit wieder in Arras auf. Er sagte, er sei im Ausland gewesen, erzählte jedoch nicht, wo oder wovon er gelebt hatte. Er ging zu Großvater Carraut und wollte seinen Sohn sehen. Maximilien stand in einem Korridor und hörte die beiden hinter verschlossener Tür laut reden.
    »Du sagst, du bist bis heute nicht darüber hinweggekommen«, sagte Großvater Carraut. »Aber hast du dich je gefragt, ob dein Sohn darüber hinweggekommen ist? Das Kind gerät nach ihr, es ist nicht kräftig; sie war auch nicht kräftig, und das wusstest du, als du dich ihr nach jeder Geburt gleich wieder aufgedrängt hast. Es ist nur mir zu verdanken, dass sie Kleider am Leibe haben und als Christen aufwachsen.«
    Sein Vater kam heraus, entdeckte ihn und sagte: Er ist dünn, er ist klein für sein Alter. Ein paar Minuten lang sprach er mit ihm, bemüht, verlegen. Bevor er ging, beugte er sich herunter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Sein Atem roch schlecht. Mit einer erwachsenen, angewiderten Miene zog das Kind der Liebe den Kopf weg. François schien enttäuscht. Hatte er vielleicht eine Umarmung erwartet, einen Kuss, hatte er seinen Sohn durch die Luft schwingen wollen?
    Später fragte sich der Junge, der seine starken Gefühle sparsam zu dosieren gelernt hatte, ob er Bedauern empfinden sollte. Er fragte seinen Großvater: »Ist mein Vater wegen mir gekommen?«
    »Er ist gekommen, weil er wieder Geld gebraucht hat. Werd endlich erwachsen«, knurrte der alte Mann und ging weg.
    Maximilien machte seinen Großeltern keinerlei Ärger. Man merke kaum, dass er im Haus sei, sagten sie. Er las gern und hielt Tauben in einem Verschlag im Garten. Sonntags wurden die beiden kleinen Mädchen herübergebracht, und sie spielten zusammen. Er ließ sie – ganz sacht, mit einem Finger – den Rücken der zitternden Taube streicheln.
    Sie bettelten um eine Taube, die sie selbst zu Hause halten wollten. Ich kenne euch doch, sagte er, in ein, zwei Tagen werdet ihr genug von ihr haben, aber man muss sich um sie kümmern, das sind keine Puppen, versteht ihr? Sie ließen nicht locker: Sonntag um Sonntag plärrten und jammerten sie. Schließlich ließ er sich erweichen. Tante Eulalie kaufte einen schönen vergoldeten Käfig.
    Nach wenigen Wochen war die Taube tot. Sie hatten den Käfig draußen stehen lassen, und es hatte ein Gewitter gegeben. Er stellte sich vor, wie der Vogel sich in Panik gegen die Gitterstäbe geworfen und die Flügel gebrochen hatte, während über ihm der Donner grollte. Charlotte erzählte es ihm unter reuevollem Schluchzen und Hicksen, doch er wusste, dass sie fünf Minuten später in die Sonne hinausstürmen und nicht mehr daran denken würde. »Wir haben den Käfig rausgestellt, damit sie sich frei fühlt«, sagte sie schniefend.
    »Das war kein freier Vogel. Um diese Vögel muss man sich kümmern. Ich habe es euch gesagt. Und ich hatte recht.«
    Aber es bereitete ihm keine Freude, recht zu haben. Es hinterließ einen bitteren Nachgeschmack.
    Sein Großvater sagte, wenn Maximilien alt genug sei, werde er ihn in sein Geschäft aufnehmen. Er führte das Kind durch die Brauerei, erklärte ihm die verschiedenen Produktionsschritte und ließ ihn mit den Männern sprechen. Der Junge zeigte nicht mehr als
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