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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Autoren: Hilary Mantel
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nicht vorstellen.«
    »Wie dem auch sei«, sagte Madame, »lass ihn mir noch ein, zwei Jahre, Jean. Er ist mein einziger Sohn. Er ist mir ein Trost.«
    »Ganz wie du möchtest«, sagte Jean Recordain. Er war ein milder, umgänglicher Mann, der den Wünschen seiner Frau stets entgegenkam; einen Großteil seiner Zeit verbrachte er in einem abgelegenen Wirtschaftsgebäude, wo er mit der Entwicklung einer Maschine zum Spinnen von Baumwolle beschäftigt war. Sie werde die Welt verändern, behauptete er.
    Sein Stiefsohn war vierzehn Jahre alt, als er, ein lauter und massiger Junge, in die alte Domstadt Troyes umsiedelte. In Troyes herrschten Sitte und Ordnung. Das Vieh hatte einen Sinn für seine untergeordnete Stellung im Universum, und Schwimmen hatten die Patres verboten. Es bestand eine gewisse Chance, dass er überleben würde.
    Im Rückblick sollte er seine Kindheit immer als außerordentlich glücklich beschreiben.
    In einem spärlicheren, graueren, nördlicheren Licht wird eine Hochzeit gefeiert. Es ist der 2. Januar; die wenigen frierenden Gäste können einander auch gleich ein gutes neues Jahr wünschen.
    Jacqueline Carraults Liebesaffäre hatte sich über den Frühling und Sommer 1757 erstreckt, und am Michaelistag wusste sie, dass sie schwanger war. Sie irrte sich nie. Oder wenn, dachte sie, dann gleich sehr grundsätzlich.
    Da ihr Liebhaber ihr inzwischen die kalte Schulter zeigte und ihr Vater ein Choleriker war, ließ sie die Mieder ihrer Kleider aus und verhielt sich unauffällig. Wenn sie am Tisch ihres Vaters saß und keinen Bissen herunterbrachte, steckte sie das Essen dem Terrier zu, der neben ihrem Rock saß.
    »Hättest du mich früher informiert«, sagte ihr Liebhaber, »dann hätte es bloß das Drama gegeben, dass die Tochter eines Brauers in die Familie de Robespierre einheiratet. Aber so wie du zurzeit auseinandergehst, kriegen wir auch noch einen handfesten Skandal dazu.«
    »Ein Kind der Liebe«, sagte Jacqueline. Sie war eigentlich keine Romantikerin, fühlte sich jetzt jedoch zu dieser Rolle genötigt. Sie stand erhobenen Hauptes vor dem Altar und blickte der Verwandtschaft fest in die Augen. Ihrer eigenen Verwandtschaft – die de Robespierres waren nicht erschienen.
    François war sechsundzwanzig Jahre alt. Er war der aufgehende Stern der örtlichen Anwaltskammer und einer der begehrtesten Junggesellen im Arrondissement. Die de Robespierres waren seit dreihundert Jahren im Arrondissement Arras ansässig. Sie hatten kein Geld und waren sehr stolz. Jacqueline war überrascht von dem Haushalt, in den sie da aufgenommen wurde. Ihr Vater, der Brauer, schimpfte den ganzen Tag herum und brüllte seine Arbeiter an, doch zu Hause kam fetter Braten auf den Tisch. Die de Robespierres gingen höflich miteinander um und aßen dünne Suppe.
    Da sie Jacqueline für ein robustes, gewöhnliches Mädchen hielten, setzten sie ihr riesige Portionen von dem wässerigen Zeug vor. Sogar das Bier ihres Vaters boten sie ihr an. Aber Jacqueline war nicht robust. Sie war kränklich und schwach. Gut, dass sie in eine vornehme Familie eingeheiratet hat, lästerten die Leute. Zum Arbeiten wäre sie eh nicht geeignet. Ein reines Zierstück sei sie, ein Porzellanpüppchen, dessen schmale Figur durch das werdende Kind entstellt wurde.
    François hatte sich vor den Priester gestellt und seine Pflicht getan, doch sobald sich ihre Körper zwischen den Laken trafen, spürte er wieder die ursprüngliche Leidenschaft. Er fühlte sich zu dem neuen Herz, das in ihrem Leib schlug, zur archaischen Rundung ihres Brustkorbs hingezogen. Ehrfürchtig betrachtete er ihre durchscheinende Haut, die am Puls wie Marmor grünliche Adern sehen ließ. Ihre kurzsichtigen grünen Augen zogen ihn an, große Augen, die wie die einer Katze mal sanft, mal hart dreinblicken konnten. Wenn sie redete, kamen die Sätze oft wie kleine Tatzenhiebe.
    »Diese salzige Suppe fließt denen durch die Adern«, sagte sie. »Und wenn man ihnen eine Schnittwunde zufügen würde, kämen gute Manieren herausgeflossen. Gott sei Dank sind wir ab morgen in unserem eigenen Haus.«
    Es war ein Winter der Peinlichkeit und Bedrängnis. François’ zwei Schwestern wanderten hin und her, überbrachten Botschaften und hatten Angst, zu viel zu sagen. Jacquelines Kind, ein Junge, kam am 6. Mai um zwei Uhr morgens zur Welt. Später am Tag traf sich die Familie am Taufstein. François’ Vater war Pate, also wurde das Kind nach ihm benannt. Das sei ein guter, alter Familienname,
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