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Bruderherz

Titel: Bruderherz
Autoren: Blake Crouch
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pinkeln. Die Dusche ist draußen beim Brunnen, neben dem Klo. Sie ist kalt, aber du wirst dich dran gewöhnen. Der Strom kommt von einem neuen Generator hinter der Hütte, aber ich hab es noch nicht geschafft, Rohre zu verlegen.«
    »Kann ich das Klo jetzt benutzen?«, fragte ich, obwohl ich kaum in der Lage war, meine Stimme unter Kontrolle zu halten.
    »Klar. Sag nur immer Bescheid, wenn du rausgehst. Ich will dich nie suchen müssen.«
    Immer noch am ganzen Leibe zitternd, durchquerte ich den Raum und öffnete die Tür, hinter der die Sonne über der rostbraunen Wildnis aufging. Ich schauderte und zog den weißen Bademantel, den ich die letzten zwei Tage getragen hatte, noch enger um den Leib. Als ich mich umdrehte, um die Tür zu schließen, stand Orson auf der Schwelle.
    »Ich habe dich vermisst«, sagte er.
    Ich schaute ihn an, und eine Sekunde lang schien er verwundbar, so wie der Bruder, den ich geliebt hatte, als wir jung waren. Seine Augen erflehten etwas, doch ich fühlte mich nicht in der Lage, herauszufinden, was es war.
    »Wer war sie?«, fragte ich.
    Er wusste verdammt gut, wen ich meinte, doch er schwieg. Wir starrten einander nur an, eine innige Beziehung, die völlig verschüttet schien und beinah schon für tot gehalten worden war. Doch es gab eine Menge Zündstoff zwischen uns. Ich wollte nicht darauf warten, dass er die Türe schloss, deshalb drehte ich mich um und ging hinaus in die eisige, schmutzige Einöde.
    »Andy«, sagte er, und ich blieb auf den Stufen stehen, ohne mich umzudrehen. »Nur eine Kellnerin.«

Kapitel 6
     
    Ich stand auf der wackeligen vorderen Veranda im Schatten eines Wellblechdaches, das von morschen Vierkanthölzern gestützt wurde. Ein anhaltend kräftiger Wind wehte von der Wüste herüber und trug den süßlich scharfen Geruch von Beifuß, versengter Erde und mir unbekannten Blumen mit sich.
    Vier wacklige Schaukelstühle, zwei auf beiden Seiten der Tür, schwankten unmerklich hin und her, doch ich setzte mich auf die Stufen und grub meine nackten Füße in den dunklen Dreck, der dort, wo ihn die Sonne nicht berührt hatte, immer noch kühl war. Mein Blick wanderte entlang des Vorgebirges und der hohen Gebirgszüge am nördlichen Horizont. Aus mindestens dreißig Meilen Entfernung sahen ihre Hänge völlig gleichförmig aus. Die niedrigeren Erhebungen im Dunkelgrün immergrüner Wälder, darüber grauer Fels und als Abschluss wolkenartige Gletscherfelder aus ewigem Eis.
    Links von der Veranda stand in gut fünfzig Meter Entfernung eine große Scheune. Sie wirkte recht neu und hastig zusammengezimmert, das Blechdach und die glatte Pinienverschalung glänzten in der untergehenden Sonne. Eine Kette war wie eine Schlange um den Riegel geschlungen, der die Flügeltür zusammenhielt. Reifenspuren führten direkt auf die Scheune zu.
    Etwa eine Meile dahinter erhob sich die Wüste schroff und steil zu einem mächtigen Gebirgskamm, der weiter im Süden wieder sanft abfiel und in die Wüste überging. Die zackigen Silhouetten dürrer Wacholderbüsche entlang des Gebirgskamms zeichneten sich schwarz gegen den Himmel ab.
    Seit den frühen Abendstunden hatte ich versucht, in meinem Zimmer Machiavelli zu lesen, doch in der Hitze konnte ich mich höchstens auf eine Fluchtmöglichkeit konzentrieren. So hoffte ich, dass es draußen in der frischen Brise etwas angenehmer wäre. Doch selbst im Wind brannte der Schweiß noch in den Augen und verklebte mir Haut und Haare. Im Innern der Hütte hörte ich wieder eine Jazzplatte – eine Musik voller ergreifender Gedanken an belebte New Yorker Jazzclubs und Leute, die sich auf engem Raum drängten, die in dieser leeren Wüste eine unheimliche Geräuschkulisse bot. Normalerweise vermied ich Menschenansammlungen und Enge, doch jetzt schien mir die klaustrophobische Beengtheit eines Nachtclubs geradezu anheimelnd.
    Ich saß fast eine Stunde lang auf den Stufen und schaute zu, wie die untergehende Sonne die Wüste in dunkelviolettes Licht tauchte. Mein Kopf war leer, und ich war in eine unendlich scheinende Gedankenlosigkeit versunken, dass ich aufschrak, als hinter mir die Haustür quietschend geöffnet wurde. Orsons Stiefel hallten hohl auf den Holzdielen.
    »Hast du bald Hunger?«, fragte er. Seine laute, krächzende Stimme drehte mir den Magen um. Ich konnte es nicht fassen, dass wir wieder zusammen waren. Seine Gegenwart ließ mich nach wie vor erschaudern.
    »Ja.«
    »Ich dachte, ich lege ein paar Steaks auf den Grill«, meinte er. Ich war
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