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Bruderherz

Titel: Bruderherz
Autoren: Blake Crouch
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Grundstück wurde eine Leiche vergraben, an der dein Blut klebt. Die unglückliche junge Frau hieß Rita Jones. Ich bin sicher, dass du das Gesicht der vermissten Lehrerin in den Nachrichten gesehen hast. In einer Tasche ihrer Jeans findest du einen Zettel, auf dem eine Telefonnummer steht. Du hast einen Tag Zeit, diese Nummer zu wählen. Sollte ich bis morgen (17.5.) 20 Uhr nichts von dir gehört haben, geht auf der Polizeiwache von Charlotte ein anonymer Anruf ein. Ich werde dort melden, wo Rita Jones auf Andrew Thomas’ Seegrundstück begraben wurde, wie er sie umgebracht hat und wo sich in seinem Haus die Mordwaffe befindet (ich glaube, in deiner Küche fehlt ein Tranchiermesser). Ich hoffe für dich, diesen Anruf nicht tätigen zu müssen. Ich habe das Grab mit einer Eigentumsmarkierung gekennzeichnet. Folge einfach dem Ufer in Richtung Süden und du wirst darauf stoßen. Ich rate dringend davon ab, zur Polizei zu gehen. Ich beobachte dich ständig.
     
    Unwillkürlich musste ich lächeln. Da meine Romane von Verbrechen und Gewalt handeln, besitzen meine Fans oft einen makabren Humor. Ich habe schon Todesdrohungen und einige grafische Kunstwerke erhalten und sogar Briefe, in denen jemand behauptete, auf die gleiche Art und Weise wie die Serienmörder in meinen Büchern gemordet zu haben. Aber diesen hebe ich auf, dachte ich. Ich konnte mich an keinen so originellen Brief erinnern.
    Ich las ihn ein zweites Mal, doch dieses Mal durchzuckte mich eine böse Vorahnung, denn der Absender besaß offenbar gewisse Kenntnisse von meinem Grundstück, außerdem fehlte tatsächlich ein Tranchiermesser in meinem Messerblock. Sorgfältig faltete ich den Brief wieder zusammen und steckte ihn in meine Hosentasche, bevor ich die Stufen hinunter zum See ging.
     
    Während die Sonne allmählich am dunstigen Himmel verschwand, überfluteten im Westen ihre Lichtstrahlen den Horizont, als wäre dort ein Farbeimer ausgelaufen. Die spiegelnde Seeoberfläche glänzte dunkelorange, granatrot und magenta, und so stand ich einfach eine Weile am Ufer und beobachtete, wie sich die zwei Sonnenuntergänge aufeinander zubewegten.
    Gegen besseres Wissen folgte ich dem Uferverlauf in Richtung Süden und stolperte schon bald durch raschelndes Laub. Nach ungefähr zweihundert Metern blieb ich abrupt stehen. Vor meinen Füßen, in einem Gestrüpp aus rosa blühendem Berglorbeer, steckte ein rostiger Metallstab mit einer kleinen roten Fahne im Boden. Die Fahne flatterte leicht in einer vom Wasser kommenden Brise. Das muss ein Scherz sein, dachte ich, aber wenn dem so ist, dann ist es ein verdammt guter.
    Während ich mit der Hand ein paar welke Blätter beiseite fegte, begann mein Herz heftig zu schlagen. Der Boden unter dem Fähnchen war fest, nicht locker wie unberührte Erde. Nachdem ich alle Blätter zur Seite geschoben hatte, konnte ich sogar einen halben Fußabdruck erkennen.
    Ich rannte zurück zum Haus und kehrte mit einer Schaufel wieder. Da die Erde erst vor kurzem ausgehoben worden war, kam ich den ersten halben Meter direkt unter der Fahne gut voran. Nach knapp siebzig Zentimetern stieß ich mit der Schaufel in etwas Weiches. Mir blieb das Herz stehen. Ich warf die Schaufel beiseite, ließ mich auf alle viere fallen und grub mit den Händen weiter. Verwesungsgeruch strömte mir entgegen, der mit zunehmender Tiefe des Loches immer unerträglicher und beißender wurde.
    Meine Finger berührten Fleisch. Entsetzt zog ich meine Hand aus dem Loch und kroch zurück. Während ich mich aufrappelte, starrte ich hinab und konnte durch die Erde eine kaffeebraune Wade und eine weiße, blutbefleckte Socke schimmern sehen. Der Verwesungsgestank war so stark, dass ich nur noch durch den Mund atmete, als ich erneut zur Schaufel griff.
    Als die Leiche vollständig freigelegt war und ich sehen konnte, was nach einem Monat Verwesung von einem menschlichen Gesicht übrig geblieben war, erbrach ich mich ins Laub. Die ganze Zeit über dachte ich, dass ich dies aushalten können sollte, schließlich schrieb ich über solche Dinge. Für die Recherche des grauenvollen Handwerks der Serienmörder hatte ich zahllose verstümmelte Leichen betrachtet. Allerdings hatte ich nie den Gestank von in der Erde verwesenden Leichen gerochen noch feuchte Körperhöhlen gesehen, in denen es von Insekten nur so wimmelte.
    Ich riss mich zusammen, hielt mir eine Hand über Mund und Nase und starrte erneut in das Loch. Das Gesicht war nicht mehr zu erkennen, doch es war zweifellos
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