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Bruderherz

Titel: Bruderherz
Autoren: Blake Crouch
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dort stand in seinem mausgrauen Anzug, ohne Krawatte, ein weißes Oxfordhemd, die oberen beiden Knöpfe offen. Ich wollte sein Bild in mich aufnehmen. Mein bester Freund. Walter. Werde ich an diesen Moment zurückdenken und bedauern, seine Hilfe nicht angenommen zu haben? O Gott!
    »Bis dann«, sagte ich, klopfte ihm auf die Schulter und betrat das Flughafengebäude.
     
    Ich starrte durch das runde Fenster nach draußen und schätzte, dass der Jet gerade die Prärie überflog. Selbst zehn Kilometer über dem Boden konnte ich lediglich einen gelbbraunen Ozean erkennen, der sich von Horizont zu Horizont erstreckte. Nicht angeschnallt lehnte ich mich im weichen Sitz der ersten Klasse zurück. Durch die Vorhänge, die mich von der Touristenklasse trennten, konnte ich das unzufriedene Gemurmel der hundert schlecht gelaunten Passagiere hören. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal in der Touristenklasse geflogen war, und trotz der Angst, die mich nach Denver begleitete, genoss ich diesen kleinen Luxus.
     
    Ich betrat den Terminal. Als ich den langen Gang voller ungeduldiger Reisender hinabschaute, erblickte ich einen alten weißen Mann mit der schwarzen Uniform eines Chauffeurs, der mich anstarrte. Er hielt ein Stück Pappe hoch, auf dem in dünnen Großbuchstaben mein Nachname stand. Ich ging auf ihn zu.
    »Ich bin Andrew Thomas«, sagte ich. Der Schirm seiner Mütze reichte mir gerade bis zur Schulter. Mit schiefem Blick musterte er mich von oben bis unten.
    »Willkommen in Denver. Ich bin Hiram«, krächzte er und verzog unvermutet sein hageres, eingesunkenes Gesicht zu einem Lächeln. »Draußen steht eine Limousine für Sie bereit. Sollen wir uns um Ihr Gepäck kümmern?«
    Ich folgte ihm durch das Gewühl. Für einen alten Mann schritt er erstaunlich schnell und gleichmäßig aus. In null Komma nichts erreichten wir die Gepäckausgabe.
    Während wir auf meinen Seesack warteten, fragte ich ihn: »Und Sie wissen, wo Sie mich hinbringen sollen?«
    »Ja, Sir.«
    »Wohin?« Er runzelte vorwurfsvoll die Stirn.
    »Ich habe den Auftrag, es nicht zu verraten, Mr Thomas. Ich krieg ‘ne ganz schöne Stange Geld dafür, dass das ‘n Geheimnis bleibt, und ich kann mir nicht leisten, dass Sie es mir kaputtmachen.«
    »Ich mach Ihnen das nicht kaputt«, sagte ich und zwang mich, gut gelaunt zu lachen, um ihn zu beschwichtigen. »Wirklich nicht. Ich zahle Ihnen das Doppelte von dem, was er Ihnen geboten hat.« Hiram lachte und schüttelte den Kopf.
    »Er hat gesagt, dass Sie vermutlich irgendwas in der Art versuchen würden. Hat gesagt, ich soll’s ihm weitersagen, wenn’s so wäre, und er würde mir dann das Doppelte von dem zahlen, was Sie geboten haben.«
    »Gut«, sagte ich. »Vergessen Sie’s. Dann bleibt es eben ein Geheimnis. Sagen Sie ihm nicht, dass ich gefragt habe.«
    Ich sah meinen Sack auf dem Gepäckband auf uns zukommen, doch als ich danach griff, hielt Hiram meinen Arm fest.
    »Das ist meine Aufgabe, Mr Thomas.«
    »Nein, wirklich. Es geht schon. Der Sack ist schwer.«
    »Ich werde gut dafür bezahlt, Mr Thomas. Lassen Sie mich meine Arbeit tun.« Er trat nach vorne und hob den Sack unbeholfen vom Band.
    »Da sind zerbrechliche Sachen drin. Ich würde ihn lieber selber tragen.«
    »Nein«, sagte er knapp und setzte sich in Bewegung.
    »Halt!«, brüllte ich und zog damit die Blicke der anderen Reisenden auf mich. Er blieb stehen, ich eilte zu ihm und riss ihm den Sack von der Schulter. »Ich will den Sack selbst tragen«, erklärte ich.
    Hirams tief liegende Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Wie Sie wünschen, Mr Thomas.«
    »Ich muss kurz auf die Toilette«, sagte ich. »Ich bin gleich zurück.«
    Ich fand die Toiletten und quetschte mich in die hinterste Kabine. Auf dem Klo hockend öffnete ich den Sack und sah am Durcheinander meiner Kleidung sofort, dass er durchwühlt worden war. Ich griff ganz nach unten und zog das schwarze Waffenetui hervor, das ich vor dem Abflug am Schalter angegeben hatte.
    Ich schloss es auf, holte den .357er Revolver hervor und legte ihn auf die Kleidung. Unter den Socken vergraben fand ich die Patronenschachtel, riss sie auf und lud fünf Halbmantelpatronen in den Zylinder. Nachdem ich den Revolver in den Hosenbund gestopft und das viel zu große grüne Poloshirt darüber gezogen hatte, schob ich das leere Waffenetui und die Patronenschachtel zurück in den Seesack, zog den Reißverschluss zu und verließ die Kabine.
    An den Urinalen standen
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