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Bruderherz

Titel: Bruderherz
Autoren: Blake Crouch
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schmunzelt er.
    Während der Kaffee durchläuft, geht er hinaus auf die vordere Veranda. Große Schneeflocken fallen gleichgültig aus dem verhangenen Himmel.
    »Hallo, Jungs!«
    Orson und Percy antworten nicht. Reglos wie Skulpturen sitzen sie auf beiden Seiten der Tür in Schaukelstühlen und ihre weit aufgerissenen Augen starren in die Wüste, ins Nichts. Sie sind verärgert über ihn, weil er sie die ganze Nacht draußen in der Kälte gelassen hat.
    Er setzt sich auf die Stufen und lauscht, aber er kann noch nichts hören. Das ist in Ordnung so. Es ist erst Viertel vor eins. Er ist nicht besorgt. Hinter der Scheune hüpft ein brauner Fleck durch den Schnee – ein Kojote auf Nahrungssuche. Er hat Luther letzte Nacht geweckt, als er den Mond angeheult hat.
    Er hört ein ganz leises Brummen. Er steht gemächlich auf, reckt seine Arme über den Kopf und holt Percys Doppelflinte vom Frühstückstisch. Er stellt sie neben sich auf die vordere Veranda, setzt sich wieder auf die Stufen und wartet.
    Das Schneemobil gleitet durch die Wüste, ein schwarzer, gleichmäßig wandernder Punkt im Schnee.
    Percys Frau hält ihr Schneemobil an und parkt es neben dem ihres verstorbenen Mannes. Sie trägt eine dunkelbraune Skihose und einen schwarzen Anorak, steigt ab und nimmt dabei den Helm ab. Der Schnee reicht ihr bis zu den Hüften. Ihr Gesicht ist ähnlich derb und faltig wie Percys, die Haare fallen ihr lang und grau über die Schultern. Sie lächelt Luther zu und lehnt sich gegen ihr Schneemobil, um Luft zu holen. Er kann in ihrer Sonnenbrille zwei Hütten sehen.
    »Hallo«, begrüßt er sie fröhlich. »Pam, nicht wahr?«
    »Genau.«
    »Es war sehr freundlich, dass Percy mich letzte Nacht hier rausgebracht hat. Ich war bei dem Unwetter sehr besorgt um meine Freunde.«
    »Nun, ich weiß es zu schätzen, dass ihr Jungs ihm letzte Nacht Gesellschaft geleistet habt. Hier, ich hab dir deine Werkzeugkiste mitgebracht, Percy, also vielleicht kriegst du dein Schneemobil so weit wieder hin, dass du nach Hause fahren kannst. Hab ihm immer gesagt, ich würde ihm kräftig in den Arsch treten, wenn er ohne Ersatzbatterie losfährt. Was sagst du dazu, Percy?« Sie wirft einen Blick auf ihren Mann, der rechts von Luther sitzt.
    »Haben Sie ihn bei irgendwem als vermisst gemeldet?«, fragt Luther und wehrt gleichzeitig einen weiteren Anflug von Benommenheit ab. Pam macht einen Schritt nach vorn und schaut ihren Mann merkwürdig schief an. Luther holt zwei Patronen 4-mm-Schrot aus seiner Tasche.
    »Nicht seit ich Sie über Funk erwischt habe«, antwortet sie, allerdings ohne ihn dabei anzuschauen. »Hey, Percy!« Sie nimmt ihre Sonnenbrille ab und blinzelt argwöhnisch erst ihren Mann und dann Luther an. Über Luthers linke Stiefelspitze läuft Blut in den Schnee. »Was zum Teufel ist los mit ihm?«
    »Oh, er ist tot.« Sie lächelt, als ob er einen Witz gemacht hätte, und tritt noch einen Schritt näher heran. Als sie Percys Kehle sieht, schaut sie auf Luther, dann auf Orson und schreit. Ein Rabe fliegt verärgert krächzend neben der Scheune aus dem Schnee auf. Pam dreht sich um und macht einen Satz rückwärts in Richtung des Schneemobils.
    Luther öffnet die Verschlussnase der Doppelflinte und legt zwei Patronen ein.
     
    Drei Stunden später entspannt er sich auf der vorderen Veranda und schlürft schwarzen Kaffee aus einem Becher. Er kann auch gefällig sein. Er hat Pam und Percy erlaubt, nebeneinander zu sitzen, und sogar Pams Hand so hingelegt, dass sie im Schoß ihres Mannes ruht. Sie werden zusammen steif frieren. Das ist schließlich nicht gänzlich unromantisch.
    »Ich werde euch Jungs einen neuen Freund holen«, sagt er. »Wie gefällt euch das?« Er schaut zu Orson und haut ihm auf den Rücken, ein arktischer Fels. »Du redest nicht viel, oder?«, sagt Luther und lacht dabei schallend.
    Er hält sich jetzt für die Perfektion von Orson und brennt vor Ekstase.
    Erneut läuft ihm warmes Blut die Innenseite des Schenkels hinab…
     
    Luther wacht auf dem Rücken liegend auf. Er starrt an die Decke der überdachten Veranda, der verschüttete Kaffee ist in der Wolle seines Pullovers bereits zu Eis geworden. Er setzt sich auf. Die Wolken sind verschwunden, die Sonne steht tief am Himmel, halb verdeckt von den weißen Felsen in der Ferne. Sein Blick ist bereits durch tanzende schwarze Flecken getrübt – Vorboten des Sterbens, das ihn bald überkommen wird. Unter seinen Füßen ist eine kleine, in der untergehenden Sonne rosa
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