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Bruderherz

Titel: Bruderherz
Autoren: Blake Crouch
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die Hütte erreicht hatte, war ich nicht mehr draußen gewesen und meine Fußspuren verliefen in Richtung Süden zum Auto hin. Ein Adrenalinstoß sträubte mir all meine Nackenhaare – eine weitere Spur, die nicht von mir stammte, führte von der Scheune geradewegs hierher, die Stufen hinauf, bis zu der Tür, an der ich gerade stand. Er ist in der Hütte! Ich schloss die Tür, drehte mich um, lud eine Patrone und bedauerte, nicht in jedem Raum eine brennende Votivkerze aufgestellt zu haben. Ich ging zurück in die rote Dunkelheit, blickte in alle Ecken und Winkel der Küche und des Wohnzimmers und versuchte angestrengt, jedes noch so leise Geräusch wahrzunehmen – ein schweres Atmen oder ein Herz, das so heftig pochte wie meins.
    Beobachtest du mich gerade?, dachte ich, als ich vom Wohnzimmer zurück in den Flur schlich. Die Tür zum zweiten Schlafzimmer stand einen Spaltbreit offen, und ich konnte mich nicht daran erinnern, sie so hinterlassen zu haben. Ich näherte mich der Tür, trat sie auf, eilte hinein, drehte mich in der Dunkelheit im Kreis, immer mit dem Finger am Abzugshahn, und erwartete, dass er mich anspringen würde. Doch das Zimmer war leer, genauso, wie ich es verlassen hatte.
    Ich ging zurück in den Flur. Dein Zimmer. Du hast mich beim Schlafen beobachtet. Ungeachtet meiner Angst trat ich über die Schwelle. Der einzige Platz im Raum, den ich nicht einsehen konnte, war auf der anderen Seite seiner Kommode. Mit erhobener Pistole, schussbereit, stürzte ich mich in das Zimmer und wollte schon den Abzugshahn drücken, als der leere Fleck zwischen Kommode und Kühltruhe sichtbar wurde. Dort war er nicht.
    Die vier Schränke waren das Einzige, was ich jetzt noch durchkämmen konnte, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sich in einen von ihnen hineingequetscht hatte. Sie waren mit Vorräten gefüllt – einer mit Nahrungsmitteln, ein anderer mit Gas- und Wasserflaschen. Davon abgesehen hätte ich sein Rumoren in der Dunkelheit hören müssen.
    Ich verließ sein Schlafzimmer. Zwei Schränke standen auf je einer Seite des vier Meter langen Flurs, der die Schlafzimmer und das Wohnzimmer miteinander verband. Du wartest darauf, dass ich wieder vorbeikomme, damit du mir eine Tür ins Gesicht schlagen kannst. Ich rannte durch den Flur zurück ins Wohnzimmer.
    Ich stand neben dem kalten Ölofen und begann einen Plan zu ersinnen, wie ich ihn aus seinem Versteck locken konnte, als mir ein Wassertropfen auf den kahl geschorenen Schädel fiel. Geschmolzener Schnee. Über mir knackte Holz und ich schaute auf ins Gebälk. Ein Schatten schwang sich von einem Balken herab, dann traf etwas Stumpfes und Hartes meinen Hinterkopf.
     
    Ich kam auf dem Boden wieder zu mir, doch die Glock war verschwunden. Mühsam versuchte ich, auf die Beine zu kommen. Die von kleinen Lichtblitzen durchzogene rote Dunkelheit drehte sich um mich. Träume ich?
    Eine Messerspitze glitt von hinten zwischen meinen rechten Arm und meinen Oberkörper und berührte den Solarplexus. Ich sah den Elfenbeingriff, und als ich seinen Atem hinter meinem Ohr spürte, lief mir im nächsten Moment meine eigene Pisse am Bein runter und bildete eine Pfütze um meine bloßen Füße. Als ich versuchte auszuweichen, presste er die Klinge gegen meine Kehle.
    »Dieses Messer durchtrennt deine Luftröhre, als wäre sie aus Gelee.«
    »Töte mich nicht.«
    »Was ist das für ein Klingeln?« Er griff nach unten und betastete die Taschen meiner Jogginghose. »Oh, da schau her!« Er zog die Handschellen heraus, in deren Schloss immer noch der Schlüssel steckte, und fesselte meine linke Hand. »Halt die andere hin.« Ich nahm die rechte Hand hinter den Rücken und er drückte die Handschellen zu. »Also los, nach dir«, flüsterte er und presste die Klinge dabei weiter gegen meine Kehle. »In der Scheune ist eine Überraschung für dich.«

Kapitel 36
     
    Obwohl ich barfuß war, spürte ich das Eis zwischen den Zehen nicht. Ich malte mir aus, dass der silberne Mond unsere Gesichter bläulich und unheilvoll aussehen ließ. Die Nacht war surreal, und ich dachte: Ich bin nicht hier. Ich gehe nicht mit ihm in diese Scheune. Orson blieb dicht hinter mir und stöhnte bei jedem Atemzug, als hätte er Mühe, mit mir Schritt zu halten. Erschöpfung oder Erfrierungen oder beides. Als ich die hintere Tür der Scheune erreicht hatte, blieb ich stehen und drehte mich um. Er schwankte auf mich zu und hielt die Pistole unsicher auf meinen Kopf gerichtet. Im Mondlicht konnte
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