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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Autoren: Jakob Arjouni
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Kayankaya, ich bin Privatdetektiv…« Ich beobachtete sein Gesicht genau. »Wir kennen uns nicht, aber vielleicht haben Sie mich schon mal gesehen, auf jeden Fall schon mal gehört.«
    Nichts verriet ihn, er schaute einfach nur irritiert. »Was reden Sie da?«
    »Darf ich Sie einen Moment unter vier Augen sprechen, irgendwo, wo wir nicht gestört werden können?«
    Er behielt den Blick auf mir, machte dabei ein nachdenkliches, zunehmend besorgtes Gesicht.
    »Ja, natürlich…« Er stand vom Sofa auf und schloss mechanisch einen Knopf des Sakkos. Freier Oberkörper passte nicht mehr recht in die Situation. »In meinem Atelier.«
    Er ging an mir vorbei und voraus in den Flur. Er war gut einen Kopf größer als ich, eine ziemlich prächtige Erscheinung, es musste eine Menge Zeugen geben.
    Das Atelier befand sich im Keller, und als natürliche Lichtquelle gab es nur zwei schmale Oberfenster. Edgar Hasselbaink hatte den Lichtschalter gedrückt, und vier weiße, grelle Neonröhren flammten auf.
    »Ich dachte immer, beim Malen geht’s vor allem ums Licht«, sagte ich.
    »Na, ist hier etwa kein Licht?«
    »Ich meine, natürliches Licht.«
    »Das kommt drauf an, was man macht. Ich male keine Bäume im Sonnenuntergang, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Glaub schon.« Ich betrachtete das Bild, das in der Mitte des Raums auf einer Staffelei stand und an dem er wohl gerade arbeitete. Ein schlafendes Mädchen auf blauem Hintergrund, vermutlich Marieke.
    Hasselbaink folgte meinem Blick. »Meine Tochter. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als das eigene Kind friedlich schlafend.«
    »Hm-hm.«
    »Haben Sie Kinder?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Andersrum gibt es wahrscheinlich wenig Schlimmeres auf der Welt als das eigene Kind vor Angst schlaflos, oder?«
    Hasselbaink hatte sich auf einen Tisch in der Ecke gehockt und angefangen, eine Zigarette zu drehen. »Ja.« Er rollte das Papier ein. »Und jetzt? Was wollen Sie von mir?«
    »Ihre Frau hat erwähnt, dass Sie vor Ihrer Malerkarriere in Amsterdam Medizin studiert haben.«
    Er hielt im Zigarettendrehen inne, sah auf. »Ja. Zwei Jahre. Weil meine Eltern das unbedingt wollten. Warum?«
    »Um einen Schaschlikspieß so in eine menschliche Brust zu stoßen, dass der Spieß zwischen den Rippen das Herz trifft, muss man eine gewisse Kenntnis von der menschlichen Anatomie besitzen. Medizinstudium ist eine Möglichkeit, diese Kenntnis zu erwerben.«
    Hasselbaink schaute mich an, den Mund leicht geöffnet, die fast fertiggedrehte Zigarette zwischen den Fingern. Dabei wirkte er sehr ruhig, eher nachdenklich als überrascht. Schließlich senkte er den Blick, leckte das Papier an und drehte die Zigarette zu Ende. Mit ernster, konzentrierter Miene, den Blick vor sich am Boden, suchte er die Taschen seines Anzugs nach einem Feuerzeug ab. Er fand es schließlich in der Sakkoaußentasche, steckte sich die Zigarette an und blies den Rauch in einem dünnen Faden bedächtig zur Decke.
    »Ich habe natürlich keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte er in lockerem Ton, fast, als mache er sich ein bisschen lustig über mich, »aber fahren Sie ruhig fort.«
    »Ich stelle es mir so vor…« Ich schob die Hände in die Hosentaschen und begann, im Atelier herumzuschlendern. Immer wieder blieb ich vor dem Bild mit der schlafenden Marieke stehen. Es strahlte tatsächlich einen tiefen Frieden aus.
    »Sie waren in Den Haag und haben wie immer auf Reisen oder bei Auslandsaufenthalten jeden Abend zu Hause angerufen, um gute Nacht zu sagen, ›Ich liebe euch‹ und so weiter. Als nun Ihre Frau an mehreren Abenden hintereinander erklärte, Marieke sei gerade nicht da, bei einer Freundin, bei einer Greenpeace-Versammlung, was weiß ich, wurden Sie irgendwann stutzig. Und vermutlich hat Ihre Frau mit nur schlecht verborgener Sorge in der Stimme Ihre Befürchtungen verstärkt. Irgendwann beschlossen Sie, heimlich nach Frankfurt zu fahren, um zu sehen, was los ist.«
    »Wieso sollte ich meiner Frau nicht vertrauen?«, fragte er plötzlich. »Wieso sollte ich heimlich fahren?« Sein Ton war völlig neutral, als sei sein Interesse an der Angelegenheit rein theoretischer Natur.
    »Ihre Frau war meine Klientin. Falls Sie das noch nicht begriffen haben: Ich bin der, der Ihre Tochter zurückgebracht hat. Jedenfalls, ohne Ihnen oder Ihrer Familie zu nahe treten zu wollen: Ihre Frau löst sicher eine Menge bei den Menschen aus – unbegrenztes Vertrauen gehört, denke ich, eher nicht dazu.«
    Seine Oberlippe verzog
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