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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Autoren: Jakob Arjouni
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sich leicht zu einem schwer zu deutenden Grinsen. War es wütend? Bitter? Amüsiert? Oder nach mindestens sechzehn Jahren gemeinsamen Lebens einfach nur müde?
    »Ich nehme an, es gibt einen Nachtzug von Den Haag oder Amsterdam nach Frankfurt, oder sind Sie mit dem Auto gefahren?«
    Er antwortete nicht, rauchte und sah mich an.
    »Na ja, hier angekommen, schlichen Sie sich ins Haus, vermutlich während ich mit Ihrer Frau im Wohnzimmer saß. Ich weiß nicht, wie Zimmer und Hintereingänge beieinanderliegen, aber Sie müssen eine Möglichkeit gehabt haben, uns zu belauschen. Dann fielen Abakays Name und Adresse, und Sie haben sich auf den Weg gemacht, um Ihre Tochter zu retten.«
    Ich blieb vor ihm stehen. Er schaute mich fragend an.
    »Darf ich mir auch eine drehen?«
    »Bitte.« Er reichte mir die Tabaktüte.
    Ich setzte mich auf einen Stuhl voller getrockneter Farbkleckse und zupfte mir eine Portion Tabak zurecht.
    »Ich nehme an, Sie haben bei Abakay geklingelt, aber niemand hat aufgemacht. Dann haben Sie sich ins Café neben die Eingangstür gesetzt und gewartet. Und das Tagesgericht bestellt. Nicht aus Hunger, sondern weil Ihnen inzwischen aufgegangen war, dass Sie bei einem wie Abakay besser eine Waffe dabeihaben sollten.«
    Ich leckte das Papier an, drehte es zusammen und riss die an den Enden heraushängenden Tabakfäden ab.
    »Der Kellner erinnert sich an Sie.«
    Ich dachte kurz an den jungen weißen Wuschelkopf, der sich nicht vorstellen konnte, dass ein Farbiger rassistische Anschläge auf seinen türkischen Nachbarn verübte. Ja okay, heute Mittag hat so ein Spieß gefehlt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Ihr rassistischer Nachbar war. Und der sich nicht getraut hatte, einen Farbigen mit seiner Hautfarbe zu beschreiben. Wahrscheinlich aus Angst, irgendwelche rassistischen Klischees zu erfüllen. Dann lieber keine Hautfarbe. Vielleicht war das der unbewusste Zorn vieler guter, toleranter Weißer: Warum zum Teufel zwingt ihr uns immer wieder, so rumzueiern?! Warum könnt ihr nicht wie alle anderen weiß sein, dann wäre das mit den verdammten Wörtern kein Problem!
    »Feuer?«, fragte Hasselbaink und streckte mir sein Feuerzeug entgegen.
    »Danke. Noch nicht.« Ich hielt die Zigarette wie früher zwischen Daumen und Zeigefinger, betrachtete sie einen Augenblick stumm. »Und dann haben Sie irgendwann noch mal bei Abakay geklingelt, und diesmal hat man Ihnen aufgedrückt. In Abakays Wohnungstür stand dann allerdings der falsche Mann. Ein fetter großer Besoffener mit nacktem Oberkörper, und vielleicht schrie Marieke im Hintergrund sogar um Hilfe.«
    Ich machte eine Pause. Einen Moment lang war nur das Knistern von Hasselbainks verglühendem Tabak zu hören.
    »Nein, ich habe keine Kinder, aber ich kann mir vorstellen, dass sie in so einer Situation das Einzige sind, was zählt. Vielleicht wollten Sie ursprünglich einfach nur in die Wohnung, und Rönnthaler hat sich Ihnen in den Weg gestellt. Vielleicht haben Sie aber auch gleich zugestochen, einfach weil die Umstände zu eindeutig waren.«
    Wieder machte ich eine Pause und sah zu dem Feuerzeug in Hasselbainks Hand. Diesmal bot er es mir nicht an, und ich mochte nicht fragen.
    »Und dann hörten Sie mich die Treppe hochkommen. Tja, und so – könnte man sagen – hat Abakay überlebt.«
    »Nicht sehr lange«, kam es überraschend schnell aus Hasselbainks Mund.
    Ich räusperte mich. »Nein, aber das ist eine andere Geschichte. Er ist im Zusammenhang mit Drogengeschäften erschossen worden.«
    »Da hat mir meine Frau etwas anderes erzählt.«
    »So?«
    »Hören Sie«, sagte Hasselbaink und drückte den Rest seiner Zigarette in einen herumliegenden Farbdosendeckel. »Ihre Geschichte ist, was das Ende betrifft, völliger Unsinn. Ich habe niemanden umgebracht, saß nie bei Abakay vor der Wohnung, und den weißen Kellner möchte ich sehen, der glaubwürdig bezeugen kann, dass er diesen Farbigen und nicht einen anderen während des hektischen Mittagsgeschäfts bedient hat…«
    Er lächelte mich gelassen an. Ich dachte an die Beschreibung, die der Kellner von Hasselbaink gegeben hatte: Älter, so um die fünfzig, gemütliche Klamotten – wie ’n Professor oder wie ’n netter Lehrer. Ich war sicher, Hasselbaink lief im Alltag nicht mit leuchtend gelbem Anzug und ohne Hemd rum. Und wenn er die Haare etwas bändigte, vielleicht eine Lesebrille trug…
    »Trotzdem gibt es ein paar Details, die sich vermutlich nachprüfen lassen und mit denen Sie mir
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