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Britannien-Zyklus 03 - Die Herrin von Camelot

Titel: Britannien-Zyklus 03 - Die Herrin von Camelot
Autoren: Diana L. Paxson
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gewiss niemandem mit ihrem Urteilsvermögen, wenn es darum ging, wie und wann sie eingesetzt werden sollten. Und nach einem Dutzend Jahren als Tigernissa von Britannien fiel es Igraine leicht, über eine Schar Frauen und Mädchen zu herrschen.
    Merlin hingegen, dachte sie, während sie beobachtete, wie er auf sie zukam, besaß die Weisheit eines anderen und noch höheren Ranges. Als sie noch eine junge Frau gewesen war, war er ihr wesentlich älter erschienen als sie selbst, doch von ihrem heutigen Standpunkt aus, mit zweiundfünfzig Jahren, galt ein Mann im frühen sechsten Lebensjahrzehnt als Altersgefährte. Es war nicht das Alter, das ihn von anderen Menschen unterschied, sondern eine ihm innewohnende Wildheit, die ihm trotz all der Jahre an Höfen von Königen nach wie vor geblieben war.
    Über einem weißen Druidengewand trug er das übliche Wolfsfell. Beides wirkte abgetragen, als hätten die Kleidungsstücke sich seinem hageren Leib angepasst. Dennoch wirkte er stark. Später, als sie Minztee aus dem dampfenden Kessel in seine Schale goss, bemerkte sie, dass Merlin sie ebenfalls musterte.
    »Ich bin nicht mehr das Mädchen, das du in Luguvalium gekannt hast«, sprach sie mit leiser Stimme.
    »Du bist immer noch wunderschön«, antwortete er mehr ihren Gedanken denn ihren Worten. »So wie der Wald im Herbst, wenn die Nüsse auf den Bäumen reifen.«
    Igraine spürte, wie sie errötete und schüttelte den Kopf. »Mein Mond ist längst übervoll, aber es ist die Son ne, von der wir reden sollten. Wann hast du Artor zuletzt gesehen?«
    In sanftem Hohn hob Merlin eine buschige Augenbraue, doch er ließ ihre Selbstherablassung unbeachtet verstreichen. »Vor zwei, fast drei Monden. Er baut gerade die Festung von Isca neu auf. Castra Legionis, so heißt sie; sie soll als Versammlungsort für Feldzüge gegen Beutefahrer aus Eriu dienen. Es waren ziemlich viele Menschen dort. Ich bin nicht lange geblieben.«
    »Das ist also die Hauptbedrohung? Nicht die Sachsen?«
    Der Druide zuckte die Schultern. »Derzeit. Artor hat Hengests Balg gezähmt und ihn nach Cantium geschickt, um dort die Schafe zu hüten, aber der Rest des Sachsenpacks ist immer noch hungrig. Ceredic hockt in Venta, schärft die Streitäxte und beäugt die Länder um sich; in den Sumpfländern treiben sich die Angeln herum. Letztlich wird Artor sich mit ihnen beschäftigen müssen. Aber warum fragst du mich? Schreibt er dir etwa nicht?«
    »Von Zeit zu Zeit.« Sie tätschelte die geschnitzte Holztruhe, in der sie Artors Briefe aufbewahrte. »Aber die Sichtweise eines Druiden unterscheidet sich von der eines Königs.«
    »Ich kann nicht für ihn herrschen, Igraine«, entgegnete Merlin. »Ebenso wenig kannst du es.«
    Sie legte ihre Stirn in Falten und dachte an die Ratschläge, die sie ihm gesandt hatte. Jemand musste für die Göttin das Wort ergreifen, bis Artor eine Königin hatte. »Verbringst du deshalb so viel Zeit damit, in der Wildnis herumzustreunen?«, ging sie zum Angriff über. »Was, wenn etwas geschieht? Was, wenn er dich braucht?«
    »Dann werde ich es wissen.« Seine Stimme glich einem unterirdischen Grollen, als spräche er durch einen Fels. »Die Sterne haben mir gezeigt, dass eine Krise naht. Ob zum Guten oder zum Bösen, sie wird die Streitigkeiten mit den Sachsen für eine Generation beilegen. Wenn jene Zeit kommt, ist vorherbestimmt, dass ich bei ihm sein werde.«
    Igraine spürte die Wahrheit seiner Worte bis in die Knochen. Eine Weile war das Zischen des Feuers der einzige Laut.
    »Auch ich habe in die Zukunft geblickt«, erklärte sie schließlich. »Vor zwei Jahren, am Beltene. Dieses Jahr habe ich es nicht gewagt; ich hatte Angst davor. Ich erinnere mich an das Entsetzen, aber von dem, was ich sah, weiß ich nur noch, dass da die Herrin der Raben war, ein bevorstehender blutiger Krieg und ein Kind.«
    »Ich kenne sie…« Merlins Antlitz verzog sich vor altem Kummer. »Einzig die Weiße Rabin vermag ihr standzuhalten, wenn die Kriegshörner ertönen.«
    »Aber was ist mit dem Kind?«
    »Du hast in jener Vision nach mir gerufen, und ich habe es gehört.« Hilflos warf Merlin die Arme hoch. »Aber was hätte ich denn tun sollen? Hätte ich Artor raten sollen, den Befehl zu erlassen, jedes am ersten Mai geborene Kind zu töten? Selbst Caesar wäre außer Stande gewesen, eine solche Verfügung durchzusetzen! Wissen um die Zukunft ist eine trügerische Gabe, Igraine, denn unsere Hoffnungen und Ängste verzerren die Formen dessen, was
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