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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger
Autoren: Will Berthold
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stehen. Aber die Schreie, die Schritte, die Schüsse …
    Gibt es nichts gegen diese Zeit, gegen dieses System? Keinen Gedanken, an dem man sich aufrichten, keine Hoffnung, an der man sich festkrallen kann? Gibt es keinen Gott, der so etwas verhindert? Gibt es keine Männer, die sich dagegen zur Wehr setzen? Und keine Zukunft, die alles ertragen ließe?
    Doch, sagt sich Paul Vonwegh und strafft sich. Er sieht, wie die Dorfbewohner den Lumpenhaufen erkennen und panikartig durcheinander hetzen. Er bemerkt Frauen, die ihre Kinder festhalten, und hört Kommandos, die sie von ihnen wegzerren. Er sieht Russen, die auf der anderen Seite gegen die Absperrung rennen und von Leuten seines Zuges niedergemacht werden. Er erkennt die ersten beiden Häuser, die brennen, und er hört das Vieh brüllen, das in den stickigen Ställen verzweifelt einen Ausweg sucht.
    Er sieht es und läßt es über sich ergehen.
    Paul Vonwegh krallt sich fest an etwas, das er verlor. Er preßt das Mädchengesicht der Erinnerung so zusammen, daß es weh tun muß. Er ist weit weg von hier. Er ist zu Hause. Er ist bei Karen. Er hört und sieht nichts mehr. Es ist ihr erster Abend nach seiner Rückkehr aus der Schweiz, und es hat eben geklingelt.
    Sie fuhren zum ersten Mal auseinander. Sie mußten es noch hundertmal tun. Es wurde zum täglichen Brot ihrer Gefühle, zum Preis, den sie zahlen mußten, um beieinander zu sein …
    Paul Vonwegh schlich sich in den Nebenraum. Karen ging an die Tür. Es war Frau Maier von nebenan. Sie brachte die Zeitung zurück und war zu einem Schwatz aufgelegt.
    Als sie gegangen war, flackerte wieder die Kerze. Aber die beiden sahen jetzt nur noch den Schatten. Sie saßen dicht beieinander. Aber die Stimmung war zerschlagen.
    So ging es weiter am nächsten Tag. Der Milchmann. Der Gasableser. Der Luftschutzwart. Die Störungsstelle. Jeder noch so harmlose Handwerker wurde zu einer lauernden Gefahr. Sie sagten zueinander, daß sie alles in Kauf nehmen wollten, nur um sich zu haben. Sie sagten, daß sie glücklich seien. Sie sagten es zu laut, zu gepresst und zu heftig – um es zu sein.
    Sie flüchteten aus Berlin. Sie fuhren getrennt. Nach Mecklenburg. Für Paul war es lebensgefährlich. Er schaffte es. Karen hatte in dem kleinen Dorf am idyllischen See einen Bekannten, der seinen Kopf riskierte, als er den fremden Vonwegh aufnahm. Auch das gab es in dieser Zeit, nicht nur Denunzianten …
    Kein Telefon. Keine Hausglocke. Auch kein Luftschutzwart. Noch waren sie zu erregt, um die Ruhe zu erleben. Sie mußten sich erst daran gewöhnen. Und sie taten es.
    Nichts geschah. Die beiden wurden sicherer. Dorfbewohner hatten sie gesehen. Aber sie hielten sie für Sommerfrischler. Früher war das kleine Dorf weit ab vom Fremdenverkehr, aber der Krieg ließ keine langen Reisen mehr zu.
    Sie wohnten parterre. Sie konnten von ihrem Zimmer direkt zum kleinen See. Sie begannen, schon am Tag zu baden. Pauls Gesicht wurde wieder braun und gesund. Er sah jung aus und gut.
    Karen sagte es immer wieder, als ob sie keine anderen Sorgen hätten. »Und du«, fragte sie, »hast du mich noch lieb?«
    Er nickte lächelnd.
    »Bin ich nicht alt geworden?«
    »Du wirst niemals alt werden«, erwiderte Paul Vonwegh.
    »Aber die Jahre muß man mir doch ansehen …«
    »Nein«, antwortete er, »du bist so wie damals … beim ersten Mal …«
    »Nur, weil du da bist«, erwiderte sie und lehnte den Kopf an seine Schulter.
    Es war alles so selbstverständlich, wie es nur das volle Glück sein kann. Ihre Hände hielten sich, als ob sie sich nie wieder loslassen wollten. In einem kleinen Nachen, der nur ihnen gehörte, schwammen sie in einem großen See. Mitunter war das Wasser dreckig, oder man konnte kein Ufer sehen, oder der Wind schleuderte ihnen Brecher in das Gesicht. Der See war ihre Welt und das Boot ihr Glück.
    So lebten sie nebeneinander, miteinander, schwerelos, glücklich. Was unangenehm war, wurde vergessen. Was man nicht vergessen konnte, sprachen sie nicht aus.
    Karen wurde schöner, fraulicher. Paul sagte es ihr.
    »Dir zuliebe«, antwortete sie und fuhr mit dem Zeigefinger an seinem herben Mund entlang. »Nein, durch dich«, verbesserte sie sich. »Hörst du«, setzte sie hastig hinzu, »ich muß dir etwas sagen.« Sie sah ihn voll an. »Ich hab' mich an dich gewöhnt …«, untertrieb sie.
    »Fein.«
    »Ich kann nicht mehr ohne dich sein«, fuhr sie fort.
    »Brauchst du auch nicht …«, entgegnete er und sah an ihr vorbei.
    Der Sommer
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