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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger
Autoren: Will Berthold
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schießen!«
    Das Echo vervielfacht den Ruf, trotzdem verstehen ihn die Rotarmisten nicht. Sie sehen nur, wie einer offen dasteht und schreit.
    Ein Feuerstoß – und Vonwegh fällt nach hinten, bleibt liegen, allein im zweiseitigen Beschuss, während die ersten seiner Kompanie die russischen Linien fast erreicht haben.
    Kordt sieht Vonwegh fallen. Er müßte weiterlaufen, aber er bleibt stehen. Was er macht, ist Wahnsinn, aber die anderen folgen ihm: Kortetzky, der Gorilla, Gruhnke. Sie alle müßten an sich denken … und pfeifen darauf.
    Kordt erreicht Vonwegh als erster, reißt ihn hoch, trägt ihn auf den Schultern, bricht nach ein paar Schritten zusammen. Dann ist Kortetzky da. Sie tragen ihn zu zweit, schleppen ihn weiter.
    Paul Vonwegh rührt sich nicht. Vielleicht ist er schon tot, jedenfalls bewusstlos. Der wuchtige Körper des Gorillas fällt auf ihn. Eine MG-Garbe hat Kortetzky voll erfasst. Kordt blutet an der Stirn, Gruhnke hat einen Oberschenkeldurchschuß.
    Sie werden höchstens noch drei Meter schaffen, aber es ist ihnen gleichgültig.
    Sie haben Jahre auf die Befreiung gewartet. Winzig kleine Flammen der Hoffnung haben sie am Leben erhalten, aber jetzt wollen sie nur noch Vonwegh bergen, tot oder lebendig.
    Meter um Meter schleppen sie sich weiter.
    Als die Russen ihren Irrtum begreifen und das Feuer einstellen, ist nur noch Kordt bei Vonwegh. Er winkt ein paar B-Soldaten heran. Jetzt können sie den Kompaniechef offen tragen.
    Paul Vonwegh erreicht sein Ziel, aber er weiß es nicht mehr. Er hat das graue Gesicht eines Sterbenden. Als sie ihn absetzen, stöhnt er leise. Kordt beugt sich über ihn, schüttelt den Kopf, beißt die Zähne in die Unterlippe, schüttelt sich wie im Krampf. Er hört und sieht nichts anderes mehr, er starrt nur den Sterbenden an, als könnte er so den Tod verscheuchen …
    Paul Vonwegh bemerkt auch ihn nicht mehr. Den letzten Triumph, daß rechtlose Menschen, ehemalige Verbrecher sogar, sich den feindlichen Geschossen entgegenwarfen, um ihn zu schützen, erlebt er nicht mehr.
    Auch Karens Brief wird ihn nicht mehr erreichen.
    Vielleicht ist der Idealist Vonwegh, der mit barbarischer Energie die Hölle durchstand, ein letztesmal bei ihr wie einst, als sie sich gefunden haben, an einem lauen Abend, der nach Frühling roch. Sie gingen nebeneinander, zwei, die sich noch fremd waren und doch zusammengehörten. Vielleicht hört Paul Vonwegh zum letztenmal Karens Stimme, die zu ihm sagt: »Nicht wahr … wir zwei haben uns lieb.«
    Ein russischer Unteroffizier tritt an Kordt heran, klopft ihm auf die Schulter, deutet auf das Häufchen Überlebender, die sich zum Marsch in die Gefangenschaft formieren.
    Kordt merkt es nicht. Er starrt noch immer in Vonweghs Gesicht, das jetzt vom Verfall gezeichnet wird, erlebt die Verwandlung. Jetzt, da der Tod sich mit scharfen Linien und harten Konturen eintragen müßte, wirkt Vonwegh seltsam weich, fast entspannt. Jetzt darf die Maske einer fast übermenschlichen Selbstbeherrschung fallen. Jetzt, ganz am Schluß, findet dieser Mann, der die braune Hölle durchstand, zu sich selbst zurück, wird wieder ein Mensch, der ein Recht hat auf Leben, auf Glück, auf Liebe, auf Karen, der wenigstens davon träumen darf, wenn er es schon nicht mehr erleben wird.
    »Dawai«, brüllt der russische Unteroffizier Kordt an, der sich nicht rührt. Er holt aus, um ihm die MP in die Rippen zu stoßen. Dann streift der Blick des Russen Vonwegh, und als ob von ihm eine letzte Faszination ausginge, hält der Iwan ein, flucht halblaut vor sich hin und zieht Kordt, den Jungen, fast sanft hinweg.
    Noch einmal dreht sich Kordt nach Vonwegh um, betrachtet ihn, bis das Bild des Sterbenden auf seiner Iris ertrinkt.
     
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