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Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)

Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)

Titel: Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)
Autoren: Rosa Luxemburg
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zurückgekehrt, Hoffmannsthal verstehe ich nicht, George kenn ich nicht. Es ist wahr: ich fürchte bei ihnen allen ein wenig die meisterhafte vollendete Beherrschung der Form, des poetischen Ausdrucksmittels und das Fehlen einer großen, edlen Weltanschauung dabei. Dieser Zwiespalt klingt mir so hohl in der Seele, daß mir dadurch die schöne Form zur Fratze wird. Sie geben gewöhnlich wunderbare Stimmungen wieder. Aber Stimmungen machen noch keinen Menschen.
    Sonitschka, es sind so zauberhafte Abende jetzt, wie im Frühling. Ich gehe um 4 Uhr herunter in den Hof, es dämmert schon, dann sehe ich die scheußliche Umgebung in geheimnisvolle Schleier der Dunkelheit gehüllt, dafür leuchtet in heller Bläue der Himmel und ein silberner, klarer Mond schwimmt darauf. Um dieseStunde ziehen jeden Tag quer über dem Hof hoch oben Hunderte von Krähen im lockeren, weiten Band nach den Feldern hinaus, zu ihrem »Schlafbaum«, wo sie zur Nacht rasten. Sie ziehen mit gemächlichem Flügelschlag und tauschen merkwürdige Rufe aus – ganz anders als das scharfe »krah«, mit dem sie bei Tag raubgierig nach Beute jagen. Jetzt klingt das gedämpft und weich, ein tiefer Kehllaut, der auf mich wirkt wie eine kleine Metallkugel. Und wenn mehrere abwechselnd dieses »kau–kau« gurgelnd ausstoßen, ist mir, als ob sie spielend einander Metallkügelchen zuwerfen, die in der Luft im Bogen schweben. Es ist ein richtiges Geplauder von dem Erleben »vom Tage, vom heute gewesenen Tage« ... Sie kommen mir so ernst und wichtig vor, wie sie so jeden Abend ihrer Sitte und vorgezeichneten Bahn folgen, ich empfinde wie Ehrfurcht für diese großen Vögel, denen ich mit gehobenem Kopf nachschaue, bis zum letzten. Dann wandle ich in der Dunkelheit hin und her und sehe die Gefangenen, die eilig ihre Arbeiten noch im Hofe verrichten, wie undeutliche Schatten herumhuschen und freue mich, daß ich selbst unsichtbar bin – so allein, so frei mit meinen Träumereien und den verstohlenen Grüßen zwischen mir und dem Krähenzug droben – mir ist so wohl bei dem linden, frühlingsmäßigen Luftzug. Dann gehen die Gefangenen mit den schweren Kesseln (Abendsuppe!) durch den Hof ins Haus, zwei und zwei, marschmäßig, zehn Paar hintereinander; ich folge als letzte; im Hof, in den Wirtschaftsgebäuden verlöschen allmählich die Lichter, ich trete ins Haus und die Türen werden zweimal verschlossen und zugeriegelt – der Tag ist aus. Ich fühle mich so wohl, trotz des Schmerzes um Hans(Dr. Hans Dieffenbach, einer der besten Freunde R. L., ist im Kriege gefallen. Die Herausgeber). Ich lebe nämlich in einer Traumwelt, in der er gar nicht gestorben ist. Für mich lebt er weiter und ich lächle ihm oft zu, wenn ich an ihn denke.
    Sonitschka, leben Sie wohl. Ich freue mich so auf Ihr Kommen. Schreiben Sie bald wieder – vorläufig offiziell – das geht ja auch – und dann durch Gelegenheit.
    Ich umarme Sie.
    Ihre Rosa.

Breslau, Mitte Dezember 1917.
     
    ... Jetzt ist es ein Jahr, daß Karl in Luckau sitzt. Ich habe in diesem Monat oft daran gedacht und genau vor einem Jahr waren Sie bei mir in Wronke, haben mir den schönen Weihnachtsbaum beschert ... Heuer habe ich mir hier einen besorgen lassen, aber man brachte mir einen ganz schäbigen, mit fehlenden Ästen – kein Vergleich mit dem vorjährigen. Ich weiß nicht, wie ich darauf die acht Lichtlein anbringe, die ich erstanden habe. Es ist mein drittes Weihnachten im Kittchen, aber nehmen Sie es ja nicht tragisch. Ich bin so ruhig und heiter wie immer. Gestern lag ich lange wach – ich kann jetzt nie vor ein Uhr einschlafen, muß aber schon um zehn ins Bett – dann träume ich verschiedenes im Dunkeln. Gestern dachte ich also: Wie merkwürdig das ist, daß ich ständig in einem freudigen Rausch lebe – ohne jeden besonderen Grund. So liege ich zum Beispiel hier in der dunklen Zelle auf einer steinharten Matratze, um mich im Hause herrscht die übliche Kirchhofsstille, man kommt sich vor wie im Grabe; vom Fenster her zeichnet sich auf der Decke der Reflex der Laterne, die vor dem Gefängnis die ganze Nacht brennt. Von Zeit zu Zeit hört man nur ganz dumpf das ferne Rattern eines vorbeigehenden Eisenbahnzuges oder ganz in der Nähe unter den Fenstern das Räuspern der Schildwache, die in ihrenschweren Stiefeln ein paar Schritte langsam macht, um die steifen Beine zu bewegen. Der Sand knirscht so hoffnungslos unter diesen Schritten, daß die ganze Öde und Ausweglosigkeit des Daseins daraus klingt in
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