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Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)

Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)

Titel: Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)
Autoren: Rosa Luxemburg
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Kerl, fing an, derart auf die Tiere mit dem dicken Ende des Peitschenstieles loszuschlagen, daß die Aufseherin ihn empört zur Rede stellte, ob er denn kein Mitleid mit den Tieren hätte! »Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid«, antwortete er mit bösem Lächeln und hieb noch kräftiger ein ... Die Tiere zogen schließlich an und kamen über den Berg, aber eins blutete ... Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an Dicke und Zähigkeit, und die war zerrissen. Die Tiere standendann beim Abladen ganz still erschöpft und eins, das, welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften schwarzen Augen, wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß, wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der rohen Gewalt entgehen soll ... ich stand davor und das Tier blickte mich an, mir rannen die Tränen herunter – es waren
seine
Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte. Wie weit, wie unerreichbar, verloren die freien, saftigen, grünen Weiden Rumäniens! Wie anders schien dort die Sonne, blies der Wind, wie anders waren die schönen Laute der Vögel oder das melodische Rufen der Hirten. Und hier – diese fremde schaurige Stadt, der dumpfe Stall, das ekelerregende, muffige Heu mit faulem Stroh gemischt, die fremden furchtbaren Menschen, und – die Schläge, das Blut, das aus der frischen Wunde rinnt ... O, mein armer Büffel, mein armer, geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht. – Derweil tummelten sich die Gefangenen geschäftig um den Wagen, luden die schweren Säcke ab und schleppten sie ins Haus; der Soldat aber steckte beide Hände in die Hosentaschen, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff leise einen Gassenhauer. Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei ...
    Schreiben Sie schnell, ich umarme Sie, Sonitschka.
    Ihre Rosa.
    Sonjuscha, Liebste, seien Sie trotz alledem ruhig und heiter. So ist das Leben und so muß man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.

Breslau, den 14. 1. 1918.
     
    Meine liebste Sonitschka, wie lange habe ich Ihnen nicht geschrieben! Ich glaube, es sind Monate her. Und auch heute weiß ich nicht einmal, ob Sie schon in Berlin sind, will aber hoffen, daß diese Zeilen Sie noch rechtzeitig zu Ihrem Geburtstag erreichen. Ich bat Mathilde, Ihnen von mir einen Orchideenstrauß zu schicken, nun liegt die Ärmste im Krankenhaus und wird wohl kaum meinen Auftrag ausführen können. Doch Sie wissen, daß ich in Gedanken und mit ganzem Herzen bei Ihnen bin und Sie an Ihrem Geburtstage ganz mit Blumen umgeben möchte: mit lila Orchideen, mit weißen Iris, mit stark duftenden Hyazinthen, mit allem, was zu haben ist. Vielleicht wird es mir wenigstens im nächsten Jahr [5] vergönnt sein, Ihnen an diesem Tage selbst Blumen zu bringen und mit Ihnen zusammen einen Spaziergang im Botanischen Garten und im Feld zu machen. Wie herrlich wäre das! Heute haben wir hier 0 Grad. Zugleich aber liegt in der Luft ein so linder erfrischender Frühlingshauch und oben schimmert zwischen dicken milchweißen Wolken ein so tiefer blauer Himmel, dazu schilpen die Spatzen ganz fröhlich, man könnte denken, es sei Ende März. Ich freue mich schon so auf den Frühling, das Einzige, was man nie satt kriegt, so lange man lebt, was man im Gegenteil mit jedem Jahr mehr zu würdigen undzu lieben versteht. Wissen Sie, Sonitschka, daß der Anfang des Frühlings in der organischen Welt, d. h. das Erwachen zum Leben
jetzt
beginnt, Anfang Januar, ohne auf den Kalenderfrühling zu warten. Während nämlich nach dem Kalender erst der Winter beginnt, befinden wir uns in der größten, astronomischen Sonnennähe, und dies hat eine so geheimnisvolle Wirkung auf alles Leben, daß auch auf unserer nördlichen Halbkugel, die in Winterschnee eingehüllt ist, zu Beginn des Januar wie mit einem Zauberstab die Pflanzen- und Tierwelt erweckt wird. Die Knospen fangen jetzt an zu treiben, viele Tiere fangen die Fortpflanzung schon an. Neulich las ich bei Francé die Beobachtung, daß die hervorragendsten, wissenschaftlichen und literarischen Produktionen berühmter Männer in die Monate Januar-Februar fallen. Auch im Menschenleben soll also die Sonnenwende nach Weihnachten ein kritischer Moment sein und
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