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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt
Autoren: Colin Cotterill
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damit eine goldene Nase.«
    »Also, dass mein Studium in der Sowjetunion ins Wasser fällt, wollte ich ganz bestimmt nicht hören.«
    »Das hat sie Ihnen gesagt? Da haben Sie’s! Unfug! Nichts und niemand kann Sie daran hindern, nach Moskau zu fliegen. Es ist alles unter Dach und Fach. Genau deshalb sind diese Hellseher so gefährlich, Dtui. Sie pflanzen Ihnen einen unheilvollen Samen ein, der in Ihrem hübschen Köpfchen Wurzeln schlägt und wuchert wie eine bösartige Geschwulst. Am Ende sind Sie so verwirrt, dass Sie Ihr Verhalten den Weissagungen entsprechend ändern. Der Hellseher hat also keineswegs in die Zukunft geschaut, sondern vielmehr Ihre Flugbahn geringfügig verändert und Sie in eine Richtung gelenkt, die sich mit seiner Prophezeiung weitgehend deckt. Ihr blinder Glaube macht Sie zur leichten Beute dieser Lügner und Betrüger.«
    »Quatsch!«
    »Quatsch? Quatsch? Ich muss schon sagen. Mit der Ehrfurcht vor dem Alter scheint es ebenso bergab zu gehen wie mit allen anderen Umgangsformen auf dieser schnöden Welt.«
    »Tut mir leid. Aber Quatsch ist Quatsch, Alter hin oder her. Tante Bpoo kann in die Zukunft sehen. Darauf verwette ich meine Socken.«
    »Tante Puh? Der Name sagt alles. Wo treibt sie denn ihr anrüchiges Unwesen?«
    »Ähm …«
    »Ähm?«
    »Auf dem Gehweg vor dem Aeroflot-Reisebüro.«
    »Ach, Dtui. Sie meinen doch nicht etwa den Transvestiten?«
    »Doch.«
    »Dann ist Hopfen und Malz verloren. Das ist ja noch deprimierender, als ich es mir in meinen finstersten Albträumen hätte ausmalen können. Sie sehen ja selbst, wie prächtig seine Geschäfte florieren. Kein Wunder in dieser erstklassigen Lage. Meinen Sie nicht auch, dass der Mann längst steinreich wäre, wenn er tatsächlich in die Zukunft schauen könnte? Und es schwerlich nötig hätte, in bunter Kriegsbemalung auf einer Strohmatte zu hocken? Meine Güte, wenn ich hellsehen könnte, säße ich längst in Bangkok und würde mit anderen respektablen Rentnern Kaffee und Cognac schlürfen.«
    »Sie darf aus ihrer Gabe keinen Profit schlagen.«
    »Wollen Sie damit sagen, sie … er nimmt kein Geld für seine dubiosen Dienste?«
    »Nicht einen Kip.«
    Siris Verwirrung währte nur kurz. »Aha, verstehe. Die Damen und Herren Hellseher haben einen Ehrenkodex. In diesem Fall sollte ihre Ehre es ihnen verbieten, allzu leichtfertige Vorhersagen zu treffen und Ihnen zu erzählen, dass Ihre Ostblockreise platzen wird. Ich glaube, ich muss mal ein ernstes Wörtchen mit Ihrem komischen Tantchen reden.«
    »Nur zu. Tun Sie sich keinen Zwang an.«
    »Was?«
    »Sprechen Sie ruhig mit ihr.«
    »Sie haben nichts dagegen?«
    »Vielleicht ist ja selbst ein alter Hund wie Sie noch lernfähig.«
    »Das möchte ich doch stark bezweifeln.«
    »Dann gehen Sie hin, und reden Sie mit ihr. Aber bitte recht freundlich. Vergessen Sie das bizarre Beiwerk, und lassen Sie sich von ihr bezirzen. Sie wird Sie überzeugen, das garantiere ich Ihnen.«
    »Sie scheint auf Negativprognosen abonniert zu sein.«
    »Nicht unbedingt. Hin und wieder spricht sie einem auch Mut zu. Sie hat mir prophezeit, dass ich Ende des Monats in den Hafen der Ehe einlaufen werde.«
    Siri lachte. »Und wer ist der Glückliche?«
    »Das hat sie nicht gesagt.«
    »Dann bestellen Sie schon mal das Aufgebot. Heute ist der fünfzehnte.«
    Dtui tütete die Hoden ein, etikettierte sie (»Abgetrenntes Skrotum. Hr. Tawon. Aug. 1977«) und brachte sie in den Lagerraum der Pathologie. Sie würden den Leichnam nicht auf den Scheiterhaufen begleiten. Herr Tawon hatte die Heiligkeit der Ehe regelmäßig verletzt. Nach zwanzig Jahren Untreue war seine ebenso ergebene wie langmütige Frau mit ihrer Geduld am Ende und beschloss, ihrem Gemahl ein selbiges zu setzen. Auf der anderen Seite des Flusses, in Thailand, hätte Herr Tawon vermutlich darauf hoffen dürfen, seine Karriere als Weiberheld und Schürzenjäger nach angemessener Rekonvaleszenzzeit fortsetzen zu können. Thaifrauen zogen es im Allgemeinen vor, die Karotte und nicht die Zwiebeln abzuschneiden. Sofern es dem solcherart Entmannten gelang, sein verloren gegangenes Glied rechtzeitig zu finden und damit zu einem halbwegs fähigen Chirurgen zu humpeln, bestand eine immerhin dreißigprozentige Chance, das Organ erfolgreich wieder anzunähen.
    Doch Frau Tawon machte keine halben Sachen. Als ihr Mann wieder einmal in eine Wolke billigen Parfüms gehüllt von einer Sauftour heimgekehrt war und seinen Reiswhiskyrausch ausschlief, hatte sie ihm das
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