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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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Perlmuttmuschel, fand, die in allen Farben des Regenbogens schimmerte. Er steckte sie immer ein und hatte in seiner Schreibtischschublade bereits eine stattliche Sammlung angehäuft.
    »Heute Abend gibt es Crêpes mit Palourdes, vielleicht auch mit Ormeaux. Aus der Pfanne. – Wir werden sehen.«
    »Was hat es mit dem Antrag auf sich, den Ihr Mann bei der Mairie eingereicht hatte?«
    Die Frage war unvermittelt gekommen. Solenn Nuz war gleichwohl keinerlei Verwunderung anzumerken. Gar nichts. Sie antwortete, ohne zu zögern, und in demselben Tonfall, in dem sie gerade vom Muschelfischen gesprochen hatte.
    »Wir dachten eine Zeit lang, wir hätten eine gemeinsame Idee. Lucas, Yannig, Kilian Tanguy und wir. Und auch Devan Le Menn. Muriel Lefort kannte ihren Bruder besser, sie war von Anfang an nicht dabei. Wir haben nicht auf sie gehört, wir fanden sie altmodisch. Nach einer Zeit des gemeinsamen Pläneschmiedens wurde uns klar, dass Lucas ganz anderes im Sinn hatte. Wir wollten die Glénan belassen, wie sie waren, die Tauchschule und den Segelklub ein Stück modernisieren und vergrößern, ein Hotel und ein Restaurant bauen, aber keine Massen, keinen Luxus. Für Lucas war das nur der Anfang, eine Taktik. Wir fingen an, uns immer häufiger zu streiten. Eines Tages gab es dann den großen Knall. Yannig hat nie viel zu allem gesagt – aber er war auf Lucas’ Seite. Und er hatte das Geld. Charles Malraux stand auf unserer Seite. Devan hat versucht, sich irgendwie rauszuhalten.«
    Sie bückte sich plötzlich.
    »Sehen Sie, hier – die beiden winzigen Löcher?«
    Dupin beugte sich weit hinunter. Er hätte sie beinahe übersehen. Aber da waren sie.
    Solenn Nuz ließ ihre Hand in einer fließenden, behutsamen Bewegung in den Sand gleiten und zog sie kurz darauf mit einer prächtigen Palourde Grise wieder hervor. Sie legte sie in den rechten Korb, erst jetzt sah Dupin, dass sich darin bereits eine große Anzahl von Muscheln befand.
    »Warum war Ihr Mann der Hauptantragsteller?«
    »Weil das Land, auf dem das Hotel stehen sollte, sein Land war, und es zunächst das Zentrum der ganzen Pläne sein sollte.«
    »Ich habe gehört, der Antrag sei nie eingereicht worden. Warum hat Ihr Mann ihn nach dem endgültigen Zerwürfnis überhaupt eingereicht?«
    Jetzt schien es, als hätte Solenn Nuz einen kurzen Moment innegehalten, aber Dupin war sich nicht sicher. Sie hielt den Kopf weiterhin gesenkt und den Blick fest auf den Sand gerichtet.
    Sie schwieg eine Weile, dann schien sie sich einen Ruck zu geben.
    »Er hat ihn nicht eingereicht.«
    Dupin verstand nicht. Solenn Nuz machte keinerlei Anstalten, das Gesagte weiter auszuführen.
    »Was soll das heißen, er hat den Antrag nicht eingereicht?«
    »Wir hatten den Antrag fertig gemacht. Aber das war zu der Zeit, als wir bereits unsicher waren, Jacques, Kilian und ich. Und schon heftig mit Lucas stritten.«
    Wieder schwieg sie. Dupin wartete.
    »Wir haben zu dieser Zeit zwischen zwei Orten gelebt, dem kleinen Appartement in Fouesnant und den Inseln. Wir haben ein paar Monate hauptsächlich auf dem Boot gewohnt, auch wenn es eng war. Das Haus hier hatten wir noch nicht, das Appartement nutzten wir fast nicht mehr. Das Boot war unser eigentliches Zuhause. Alles, was wir brauchten, war dort – wir fühlten uns frei, wir waren sehr glücklich. – Auch unsere persönlichen Unterlagen haben wir dort aufbewahrt«, noch einmal machte sie eine Pause und ergänzte im selben Tonfall, »auch den Antrag.«
    Dupin blieb stehen. Im ersten Moment begriff er nicht, was sie da gesagt hatte. Dann wurde ihm schwindelig. Es dämmerte ihm. Er spürte eine leichte Gänsehaut auf den Unterarmen.
    »Der Antrag – der ausgefüllte Antrag war auf dem Boot? Er war auf dem Boot, an dem Samstag vor zehn Jahren, an dem Ihr Mann nachmittags von den Glénan aufbrach, weil sich der Sturm näherte?«
    Jetzt war es Dupin, der eine längere Pause machte, die Gedanken schossen ihm in ungeheuerlicher Geschwindigkeit durch den Kopf. Solenn Nuz suchte vollkommen unbeirrt mit den Augen weiter den Sand ab.
    »Der Antrag war beim Verlassen von Saint-Nicolas auf dem Boot von Jacques Nuz«, Dupin sprach mehr zu sich selbst, »und unmittelbar nach dem Unglück wurde er eingereicht. Er ist nicht mit dem Boot untergegangen. Der Antrag ist – nach dem Ablegen von Saint-Nicolas«, Dupin sprach immer langsamer, »er ist auf ein anderes Boot gelangt, er ist nicht mit Jacques Nuz untergegangen.«
    Schweigend gingen sie nebeneinanderher,
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