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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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war so unglaublich klar. Kristallklar. Auf dem gleißend weißen Meeresboden sah man jedes Steinchen und jede Muschel gestochen scharf.
    Dupin glaubte das eben Gehörte nicht. So ging die Geschichte nicht. Einen Moment lang stand er vollkommen regungslos da. Dann bewegte er sich zu Riwal zurück. Riwal stand verloren im Sand, blickte auf seine Schuhe und rauchte. Er hatte das Rauchen eigentlich vor einem halben Jahr endgültig aufgegeben. Solenn Nuz war einfach weitergangen und fischte nun in den Felsspalten.
    »Hat Le Coz die zeitlichen Angaben von Solenn Nuz überprüfen können?«
    »Hat er. Wir haben die ganze Zeit versucht, Sie anzurufen. Es stimmt alles. Auf die Minute. Soweit wir es überhaupt verifizieren können. Und wir haben mittlerweile die Verbindungsnachweise von Le Menns Telefonaten, was gar nicht so leicht war. Er hat gestern zwei Mal mit dem Quatre Vents gesprochen, die Bar hat ein Geschäftshandy, für Reservierungen und so. Einmal wurde er angerufen, einmal hat er dort angerufen. Einmal um Viertel nach zehn und einmal um elf Uhr.«
    Solenn Nuz war also tatsächlich nicht auf Brilimec gewesen. Selbst wenn bei allen überprüften Angaben kleinere zeitliche Unschärfen blieben, eine Dreiviertelstunde oder länger konnten sie nicht ausmachen. Sie war nicht auf Brilimec gewesen; sie hatte sich nicht mit Le Menn getroffen. Und sie hatte gestern Morgen keine Anrufe vom Quatre Vents aus führen können.
    »Das auf der Insel, das war wirklich Pascal Nuz«, sprach Dupin zu sich selbst.
    »Er hatte noch eine Waffe von früher. Aus der Résistance. Seine eigene Waffe. Mit der er gekämpft hat«, Riwal war sichtlich aufgewühlt. »Er war es auch, der Sie gestern früh mit verstellter Stimme wegen Medimare angerufen hat, um Sie auf eine falsche Fährte zu locken.«
    »Und Pajot? Was ist mit Pajot?«
    »Das hat er nicht gewollt. Er hat nicht gewusst, dass sie zu dritt unterwegs waren. Er hat viele Male gesagt, dass er das nicht gewollt hat.«
    Riwal klang, als wollte er ihn verteidigen.
    »Und wie hat er das mit dem Beruhigungsmittel gemacht? Ist es plausibel, was er erzählt?«
    »Zehn Tabletten, aufgelöst im Rotwein. – Er hat uns die Tabletten-Packung gezeigt.«
    Das passte alles, ja, aber es klang irgendwie zu glatt.
    »Und er ist gerade eben zu Ihnen gekommen? Einfach so?«
    »Ja, ein paar Minuten, nachdem Sie gegangen sind«, Riwal sprach mit schwerer Stimme, »sie hätten ihm auf dem Weg eigentlich begegnen müssen. Er hat gesagt, Sie hätten ohnehin bald alles gewusst.«
    Dupin wollte etwas antworten, aber er konnte es nicht. Er konnte nicht mehr sprechen. Ihn hatte eine tiefe Trauer erfasst. Alles, alles an dieser Geschichte war tragisch.
    Noch nie war er in einer solchen Situation gewesen. Er wusste, dass es sich so nicht zugetragen hatte. Aber er wusste nicht, was er tun sollte. Was er überhaupt tun konnte. Und: Er wusste vor allem nicht, was er tun wollte. Ob er überhaupt etwas tun wollte.
    Riwal hatte sich umgedreht und ging langsam, immer noch rauchend und etwas gebückt, den flachen Strand hinauf. Zurück, Richtung Quatre Vents.
    Dupin hatte keine Ahnung, wie lange er so dagestanden hatte. Schließlich schaute er zu den Felsen. Er sah Solenn Nuz, sie stand sehr aufrecht, schien zu balancieren. Er setzte sich in Bewegung. Solenn Nuz war bereits ein beachtliches Stück die schroffe Felsenlandschaft entlanggeklettert und näherte sich schon wieder dem Sand auf der anderen Seite. Dupin überlegte, ging den Strand hinauf bis zum Ende der Felsen und umrundete das steinerne Feld.
    Sie standen ungefähr fünf Meter voneinander entfernt. Solenn Nuz erblickte ihn erst spät, sie war vollständig auf die Ormeaux und ihren Halt konzentriert gewesen.
    »Keine große Ausbeute heute. Fünf Stück.«
    »Ihr Schwiegervater hat mit uns gesprochen. Er hat«, Dupin zögerte, »er hat uns alles gesagt.«
    Solenn Nuz blickte auf, nicht hektisch. Sie schaute Dupin tief und durchdringend in die Augen. Ihre Gesichtszüge waren unverändert. Er konnte ihren Blick nicht deuten. Dann senkte sie den Kopf. Sie war noch zwei, drei Schritte vom Sand entfernt. Sie schwieg. Dupin ebenfalls. Sie ging zu ihm und blieb stehen, die Körbe an ihren Schultern, die Schaufel in ihrer rechten Hand. Plötzlich schien sie ganz in sich gekehrt, als hätte sie vergessen, dass der Kommissar neben ihr stand. In einer ruhigen Bewegung wandte sie ihren Kopf zum Meer. Sie schaute weit hinaus. Dupin beobachtete sie ununterbrochen. Sah sie von der
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