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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte
Autoren: Wolfgang Schorlau
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liebte sie.
    Olga lachte, wenn er wieder einmal nach einem Begriff für sie beide suchte. Ihr war es völlig gleichgültig, ob er einen Begriff fand oder nicht, aber für Georg hatte diese Namenlosigkeit etwas Beunruhigendes, etwas, was ihn antrieb und immer wieder beschäftigte, als gäbe das treffende Wort ihnen eine Art höhere Weihe, gewissermaßen das Sakrament, das einen Makel oder etwas Unvollkommenes beseitigen könne.
    Und noch etwas anderes beschäftigte ihn. Aber darüber sprach er nicht. Nicht mit ihr. Und auch nicht mit seinen Freunden. Er gestand es sich selbst kaum ein.
    Seit drei Jahren, seit seinem zweiten Fall, waren Olga und er ein Paar. Ein glückliches Paar, dachte er. Und doch ... Es gab da einen Schatten, den er meist übersah, von dem er aber spürte, dass er wuchs.
    Ihre Nächte waren von inniglicher Intimität. Meist schlief Olga auf der linken Seite, und Dengler robbte an sie heran und umschlang sie mit den Armen, schmiegte seinen Bauch an ihren Rücken und seine Beine an die ihren. Wenn er sich nachts umdrehte, kroch sie ihm schlafend nach und wand sich um ihn. Immer noch schlafend, legte sie ihre Arme um ihn, und nun war sie es, die sich zärtlich an ihn drückte. Diese Augenblicke ihrer verschlafenen Verschmelzung verzückten Dengler.
    Er entwarf eine Typologie ihrer Wärme. Es gab da ihre Alltagswärme, in die er eintauchte, wenn sie auf ihrer Couch lagen und gemeinsam sonntagabends den Tatort sahen. Manchmal brachte er, nur um sie ein wenig zu ärgern, fachliche Einwände vor. Dieser Mordfall würde eine Sonderkommission erfordern – und die beiden Kommissare lösen das ganz alleine, sagte er dann, oder: Kein Polizist würde ständigseine Familienprobleme mit in das Kommissariat schleppen und dort diskutieren. Das hat bei der Polizeiarbeit draußen zu bleiben. Er hasste es auch, wenn die Fernsehkommissare ihre Waffen erst unmittelbar vor dem Einsatz durchluden. Alles nur Show, sagte er dann zu Olga, kein echter Polizist würde mit nicht durchgeladener Waffe in einen gefährlichen Einsatz gehen. Sie hielt ihm dann den Mund zu, denn sie wollte der Geschichte folgen. Nach der Hälfte des Films wusste sie meist schon, wer der Täter war. Dengler war es ein Rätsel, wie sie das herausfand. Mit seinen Tipps lag er meist völlig verkehrt. Er versuchte, sie zu küssen, doch sie schob sein Gesicht weg und wandte sich wieder dem Film zu. Er lachte und war glücklich.
    Und doch ...
    In den ersten beiden Jahren hatten sie andere Nächte gefeiert. Wie ein Besessener befühlte, betastete, küsste er jeden Quadratzentimeter ihres Körpers, griff mal fest, mal zärtlich in ihr Fleisch, untersuchte rasend vor Begierde ihren Leib. Manchmal kam es ihm vor, als sei ihr beider Fleisch flüssig, von der gleichen Substanz zwar, aber von anderer Farbe, und wenn sie sich mischten, umeinander und ineinander, schufen sie ganz neue, nie erlebte Kompositionen. Sie liebten sich oft ganze Tage und Nächte, trieben es im Freien und an Orten, die sie sich später nur kichernd wieder ins Gedächtnis rufen konnten.
    Und nun?
    Nun war es anders, und er wusste nicht, ob es besser war.
    Aber warum wurde es anders? Lag es an ihm?
    Weil er alt war?
    Weil er in den mittleren Jahren war?
    Wohin ist dein Begehren verschwunden?
    In irgendeiner Zeitung hatte er einmal gelesen, dass die Manneskraft mit Mitte vierzig deutlich nachließe.
    Ich bin ein Mann im besten Alter.
    Trotzdem. Eine Welle voll Wärme erfasste ihn. Er wollteOlga sehen. Jetzt gleich.
    Und er wollte sie nicht verlieren. Nie wieder.
    Daran dachte Georg Dengler, als er vor ihrer Tür stand und klingelte.
    Sie fehlte ihm.
    Er klingelte gerade erneut, als sie die Tür öffnete.
    »Sehnsucht?«
    »Hunger.«
    Er sah sie an.
    »Sehnsucht und Hunger«, korrigierte er sich und küsste sie. Später saßen sie ein paar Häuser weiter im Bistro Brenner. Georg Dengler bestellte Weißwürste für beide.
    »Ich werde für einige Tage ins Ausland verreisen«, sagte Olga nach einer Weile.
    Mit wem? – Nur eine Zehntelsekunde erlaubte er sich diesen Gedanken. Doch er schien ihm ins Gesicht geschrieben zu sein, denn sie legte ihre Hand auf die seine.
    »Du – du musst das nicht tun«, sagte Dengler leise, »ich verdiene gerade ganz gut. Ich ...«
    Er stockte. Darüber hatten sie oft genug gesprochen. Wenn er wirklich ausgesorgt hätte, müsste sie diese Reisen nicht auf sich nehmen.
    »Ich passe auf mich auf«, sagte sie. »Ich fliege nach Moskau. Ich kenne mich dort gut
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