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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln
Autoren: L Reese
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um für Nachschub zu sorgen. Der Mann hatte sich nicht von der Stelle gerührt, und sie spürte, daß er sie immer noch beobachtete. Sein Blick verunsicherte sie.
    »Sie sehen auch nicht aus wie eine Studentin«, sagte er schließlich, und Franny fragte sich, wieso nicht. Schließlich lag ihre Schulzeit noch nicht so lange zurück.
    »Ich habe Sie schon öfter hier draußen im Gras liegen und die Enten füttern sehen. Sie kommen immer um diese Zeit und immer allein.«
    Franny warf ihm einen schnellen, schrägen Blick zu, sagte aber nichts. Daß sie schon seit Wochen von jemandem beobachtet worden war, beunruhigte sie ein wenig. Wieder sah sie ihn an. Alles an ihm war scharf und klar gezeichnet: das kantige Kinn, die gerade, scharf geschnittene Nase, der schlanke, aber kräftige Körper. Er war nicht gerade das, was man einen schönen Mann nannte, aber er war beeindruckend. Zu beeindruckend. Sie wünschte, sie hätte etwas Häßliches an ihm entdecken können, irgend etwas, das ihn weniger einschüchternd gemacht hätte, vielleicht ein bißchen Fett um die Taille oder Hängebacken.
    »Darf ich?« fragte er, und ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er sie am Handgelenk und zog ihr die Scheibe Brot aus der Hand. Franny brachte kein Wort heraus, so sehr war sie
von der Intimität dieser Geste überrascht. Sie sah zu, wie er die Enten mit ihrem Brot fütterte.
    Er sagte: »Neuerdings schaue ich um diese Zeit immer hier heraus, weil ich hoffe, Sie zu finden. Wenn Sie nicht da sind, kommt mir mein Tag irgendwie unvollständig vor, als würde etwas fehlen.« Er wandte leicht das Gesicht und sah sie an. In seinen Augen funkelte eine Spur von Schalk. »Anscheinend gehören Sie schon zu meinem Tagesablauf wie meine morgendliche Tasse Kaffee.«
    Franny hatte über seine Worte gelächelt. Mit Koffein war sie noch nie verglichen worden. Dann hatte er sich vorgestellt, und seit drei Wochen traf sie sich hier regelmäßig mit ihm. Er kam nicht jeden Tag. Manchmal blieb er mehrere Tage weg, bis sich ihr Magen angstvoll zusammenzog und sie sich zu fragen begann, ob sie ihn jemals wiedersehen würde. Aber dann tauchte er wieder auf und fing einfach zu reden an, ohne irgendein erklärendes Wort über seine lange Abwesenheit zu verlieren. Er hatte eine ruhige, entspannte Art, die es ihr leichtmachte, mit ihm zu reden, auch wenn sie das Reden eigentlich meistens ihm überließ. Im Gegensatz zu manchen anderen Menschen schien ihm das aber nichts auszumachen, und er drängte sie auch nicht, mehr aus sich herauszugehen. Er schien instinktiv zu wissen, daß sie schon von selbst kommen würde, wenn sie soweit war. Dafür war sie ihm dankbar – die meisten Leute gaben sie auf, bevor sie begann, sich in ihrer Gegenwart wohl zu fühlen –, und es dauerte nicht lange, bis sie sich eingestehen mußte, daß sie nicht wegen der sportlichen Betätigung zum Putah Creek radelte, sondern in der eindeutigen Absicht, ihn zu treffen. Wenn er nicht kam, war sie jedesmal enttäuscht.
    Michael arbeitete als Musikprofessor an der Uni. Er war kultiviert und intelligent, ein Typ, von dem sie nicht geglaubt hätte, daß er sich je für sie interessieren würde. Nicht, daß sie einen bestimmten Typ hatte. Sie war mit einigen Männern zusammengewesen,
aber es hatte nie funktioniert. Erst letzten Monat hatte Nora sie zu einer Party des Bee geschleppt, und sie hatte dort einen Mann kennengelernt. Er war Reporter wie Nora, hatte blondes Haar und eine so offene, natürliche Ausstrahlung, eine fast jungenhafte Unschuld, daß sie ihm instinktiv vertraut hatte. Er schien es ernst zu meinen, aber am nächsten Morgen – nachdem sie mit ihm geschlafen hatte – erklärte er ihr verlegen, er habe am Vorabend zuviel getrunken. Franny konnte niemandem einen Vorwurfmachen, höchstens sich selbst. Sie hatte noch nie so impulsiv gehandelt, nie mit einem Mann geschlafen, den sie gerade erst kennengelernt hatte. Sie war zu schnell gewesen, zu krampfhaft auf der Suche, hatte gehofft, daß der Sex – der nicht besonders gut war – zu größerer Vertrautheit führen würde. Was nicht der Fall war. Er lud sie zum Frühstück ins Food for Thought Café an der K Street ein, aber sie spürte die ganze Zeit, wie unbehaglich er sich fühlte. Er war zu höflich, zu eifrig bemüht: Er hatte einen Fehler gemacht und versuchte, mit Anstand aus der Sache herauszukommen. Sie sah das Unbehagen in seinen Augen, das Mitleid, die Unsicherheit. Hätte sie sich nicht selbst so elend gefühlt,
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