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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln
Autoren: L Reese
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ich anfing, M. zu verfolgen. Meine Reise – wenn man es so nennen kann – ist beendet, und ich habe mein normales Leben wiederaufgenommen. Dutzende von Umzugskisten stehen in meiner Doppelhaushälfte in der Torrey Street herum. Jeden Tag packe ich mehrere Kisten voll, verschließe sie mit Klebeband und staple sie an der Wand, wo sie auf die Möbelpacker warten, die sie Ende des Monats abholen werden. Ich habe in Sacramento eine neue Wohnung gefunden, und nächste Woche nehme ich meine Arbeit beim Bee wieder auf. Es wird nicht leicht sein – alle dort wissen von meiner Affäre mit M. –, aber ich habe mit dem Herausgeber gesprochen, und er ist einverstanden, daß ich zurückkomme. In meiner Auffahrt steht Frannys alter Cadillac: schwarz, glänzend und riesig. Eigentlich ein Monstrum.
Es ist ein Wagen, in den man erst hineinwachsen muß; ein Wagen, der um einen herumwächst. Man kann sich darin sicher fühlen, wohlbehütet. Wegen seines Gewichts und seiner soliden Bauweise ist es sehr unwahrscheinlich, daß er bei einem Unfall den kürzeren zieht. Anders als diese neuen Kleinwagen  – diese Spielzeugautos –, die aus einem Hauch von Blech gemacht zu sein scheinen und beim kleinsten Aufprall zusammengedrückt werden. Inzwischen fühle ich mich ungeheuer wohl, sobald ich mich hinter das Lenkrad des Cadillac setze. Bei jeder Fahrt bewundere ich seine Anmut. Endlich kann ich verstehen, wieso Franny diesen Wagen so geliebt hat: Er gibt einem einfach ein gutes Gefühl. Ich fahre ihn nicht immer – bei manchen Gelegenheiten ziehe ich meinen Honda vor –, und vielleicht werde ich ihn eines Tages verkaufen. Vorerst aber genieße ich es, ihn zu besitzen.
    Ian und ich kommen einigermaßen zurecht. Ich habe ihm sämtliche Details meiner Affäre mit M. erzählt. Mir wird klar, daß es nicht anders ging. Eine Weile hatte ich in Betracht gezogen, ihm die Wahrheit zu verschweigen, aber das wäre falsch gewesen. Ich weiß nicht, ob unsere Beziehung die Wahrheit überleben wird, aber ohne diese Wahrheit wäre sie sowieso zum Scheitern verurteilt. Nur, wenn wir ehrlich zueinander sind, können wir überleben – das hat Ian mir beigebracht. Die zersetzende Kraft der Lüge schwächt den Unterbau einer Beziehung, weil jede einzelne Lüge ein kleines Stück vom Fundament des gegenseitigen Vertrauens abträgt, bis kaum mehr etwas von Wert übrig ist. Ian weiß das. Wie erwartet, hat er mir alles über sich und M. erzählt. Lügen liegt ihm nicht, was erneut beweist, daß er ein besserer Mensch ist als ich. Und er hat die Wahrheit auch nicht beschönigt. Er hat nicht behauptet, von M. verführt worden zu sein, sondern mir erzählt, daß es eine gemeinsame Entscheidung gewesen sei – wenn auch eine, die er am nächsten Morgen bereits bereut habe. Er befürchtete, meine Liebe zu verlieren, wenn er mir die
Wahrheit erzählt, aber er hat sie trotzdem erzählt – während ich feige danebenstand und mein eigenes schmutziges Geheimnis für mich behielt. Meine Beichte stand zu dem Zeitpunkt noch aus. Mein Verrat war viel größer als seiner.
    Ich weiß nicht, wohin mein Weg mich führen wird. Ich sehe inzwischen ein, wie närrisch es von mir war, mich mit M. einzulassen, aber noch immer spüre ich die Versuchung. Er hat mir ganz neue Türen zur Lust eröffnet, und nachdem ich einmal hindurchgetreten war, gab es kein Zurück mehr. M. hat mich geschaffen wie Pygmalion seine Elfenbeinstatue der Aphrodite; und wie Eliza nach ihren Erfahrungen mit Henry Higgins kann ich nicht dorthin zurückkehren, wo ich hergekommen bin. Nachts schließe ich die Augen und träume von dem Mann, der mich zum Gehorsam zwang, von der Lederpeitsche, die mich bei der Stange hielt, von den Fesseln, die mein Fleisch im Zaum hielten, von den Befehlen, die meine Seele an die Kandare nahmen, von dem primordialen Bedürfnis, das – tief und dunkel und heidnisch – Lust mit Schmerz vereinte. In meinen Träumen zucke ich unter seinen Befehlen zusammen, aber trotzdem unterwerfe ich mich seiner Macht und sehne mich noch immer nach ihm. Meine Bedürfnisse und Wünsche sind selbst mir unerklärlich. M. hat einmal gesagt, ich müsse lernen, meine intellektuellen Neigungen mit denen meines Instinkts in Einklang zu bringen. Das muß ich tatsächlich erst lernen, aber ich weiß nicht, ob Ian das je verstehen wird. Er versucht es, aber es fällt ihm sehr schwer. Er kann die Gespaltenheit meiner Wünsche nicht nachvollziehen: daß ich im Beruf befehlen, im Bett aber
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