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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln
Autoren: L Reese
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leiden werden, wenn nicht in diesem Leben, dann in einem anderen. Man kann nicht ungestraft solch teuflische Taten begehen. Im Universum herrscht so etwas wie Ordnung – ohne diesen Glauben kann ich nicht leben –, und obwohl M. nicht ins Gefängnis muß, hat ihn doch ein Schicksal ereilt, das für ihn schlimmer ist als der Tod. Sein Leben mit der Musik – der einzige
Teil seines Lebens, der ihm wirklich etwas bedeutete – ist zerstört. Er wird nie wieder Klavier spielen können.
    Gegen mich wurde keine Anklage erhoben. Der Staatsanwalt kam zu dem Schluß, daß die Fesselung in beiderseitigem Einverständnis erfolgte und daß ich dann in guter Absicht gehandelt habe, um M. vor dem Tod durch Verbrennen zu retten. M. behauptete, ich hätte ihn unter Drogen gesetzt und ohne seine Zustimmung in Ketten gelegt, aber am Ende stand sein Wort gegen meines. Die verkohlten Überreste des Raumes, die Fußeisen und Handschellen und die Hebevorrichung legten nahe, daß er sich freiwillig an sadomasochistischen Handlungen beteiligt hatte. Hinzu kam, daß er dem Staatsanwalt keine plausible Erklärungen dafür liefern konnte, wieso ich ihn unter Drogen gesetzt haben sollte: Er konnte ja nicht sagen, daß ich mich für den Mord an meiner Schwester rächen wollte. Ich warte jetzt ab, ob sein Anwalt einen Zivilprozeß gegen mich einleiten wird.
    Wegen des Mordes an Franny wird niemand strafrechtlich verfolgt. Es ist nun schon mehrere Wochen her, daß der Staatsanwalt die Ermittlungen gegen Ian eingestellt hat. Ich habe Joe Harris von M.s Geständnis erzählt, und M. hat wie erwartet alles abgestritten. Noch wichtiger aber ist, daß es Ian gelungen ist, ein Alibi beizubringen. Er war an dem Tag, an dem Franny starb, mit einem Freund in Desolation Wilderness wandern. Man braucht dort einen speziellen Besucherpaß, auf dem jeweils das Datum vermerkt ist. Ian und sein Freund hatten es versäumt, sich einen zu besorgen. Zum Glück konnte sich der Ranger, dem sie in die Arme gelaufen waren, an sie erinnern. Es war sein erster Tag in diesem Job, und er ließ Milde walten und beschränkte sich auf eine mündliche Verwarnung. In der ganzen Aufregung wegen der Verhaftung hatten weder Ian noch sein Freund an den Vorfall gedacht. Wenn ihnen die Sache später nicht wieder eingefallen wäre, oder der Ranger sich nicht an sie erinnert hätte, säße Ian heute im Gefängnis.
Obwohl er nicht länger als Verdächtiger in Frage kommt, ist sein Ruf ruiniert. Ich fühle mich persönlich verantwortlich für das Leid, das ich ihm zugefügt habe, und wünschte, ich könnte seinen Schmerz lindern.
     
    Heute sitze ich am Computer und beginne mit dem letzten Teil von Frannys Geschichte. Bereits als ich mit dem Schreiben anfing, dachte ich an eine Veröffentlichung. Ursprünglich war dieses Projekt, von dem M. nichts wußte, als schriftliche Abrechnung mit ihm gedacht und sollte ihn als Frannys Mörder bloßstellen. Aber es ist etwas sehr viel Größeres daraus geworden, eine Gedenkschrift, die an das Leben und Sterben meiner Schwester erinnern soll, eine Aussöhnung nach dem Tod.
    Nach sechs Stunden mache ich eine Pause. Ian geht mir nicht aus dem Kopf. Es gibt so vieles, was ich ihm sagen muß. Ich habe unzählige Male versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber er hat alle meine Versuche abgewiesen. Er will nichts mehr mit mir zu tun haben, was ich ihm natürlich nicht verdenken kann. Ich hinterlasse ständig Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter, aber er ruft nie zurück. Ich habe ihm mehrere Briefe geschrieben, aber er antwortet nicht. Ich habe sogar Maisie gebeten, ein gutes Wort für mich einzulegen, aber er weigert sich, mit ihr über mich zu sprechen.
    Am Spätnachmittag beschließe ich, nach Sacramento zu fahren. Die Sonne versucht schon den ganzen Tag, hinter flachen, grauen Wolken hervorzulugen; jetzt hat sie es geschafft, sich zwischen ihnen hindurchzuzwängen, und wirft schlanke, schräge Strahlen über die Stadt. Ich gehe in die Garage. Neuerdings bezahle ich den halbwüchsigen Sohn einer Nachbarin dafür, daß er sich um Frannys Cadillac kümmert. Der Wagen ist frisch gewaschen, gewachst und überholt; ich habe mich zwar schon ein paarmal hineingesetzt, bin aber bisher noch nie damit gefahren. Ich stecke den Schlüssel ins Zündschloß
und lasse den Motor warmlaufen. Gnädig übertönt sein tiefes Brummen die ängstlichen Stimmen in meinem Kopf. Der Auspuff bläst frostige Wolken in die Luft.
    Ich stoße rückwärts aus der Garage und
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