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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln
Autoren: L Reese
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bin, rieche ich es. Ich stürze hinein.
    Die Pappschachteln in der Ecke neben dem Bett stehen in Flammen.

    »Die Kerzen«, sagt M., als er mich sieht. Er bemüht sich, ruhig zu bleiben. Er blutet überall. »Die Schachteln haben Feuer gefangen, als du sie umgeworfen hast.« Ich erinnere mich daran, mehrere Kerzen auf die Schachteln gestellt zu haben, als ich den Raum heute nachmittag vorbereitet habe. Das Feuer ist noch klein, wie ein Lagerfeuer.
    Hastig sehe ich mich im Zimmer um. Ich halte nach einer Decke Ausschau, mit der ich die Flammen ersticken kann. Einmal, nachdem M. mich ausgepeitscht hatte, wurde mir sehr kalt, und er hüllte mich in eine blaßgrüne Wolldecke. »Wo hast du die Wolldecke?« frage ich, während ich sämtliche Schubladen aus der Kommode reiße.
    »Schließ die Handschellen auf, Nora!« sagt M. Ich höre die unterdrückte Panik in seiner Stimme. »Vergiß die Decke! Schließ die Handschellen auf!«
    Die Schubladen krachen zu Boden. Ich finde weder eine Decke noch sonst irgend etwas, das schwer genug wäre, um die Flammen auszuschlagen. Ich stürze zu M. hinüber, um die Handschellen aufzuschließen, bleibe dann aber wie angewurzelt stehen. Der Schlüssel lag auf dem Tisch neben dem Bett, aber der Tisch ist auf die Seite gekippt, und alles, was sich darauf befand – einschließlich des Schlüssels – ist über den Boden verstreut. Ich kann den Schlüssel nirgends entdecken.
    »Mach schon!«
    »Ich muß erst den Schlüssel finden.« Ich gehe auf alle viere und suche den Boden ab. »Er war auf dem Tisch«, sage ich. Ich schiebe die Schachtel mit den Kondomen beiseite. Dann sehe ich unter dem Weinglas und der Gleitmitteltube nach. Nichts. Ich stelle den Tisch auf, aber der Schlüssel bleibt verschwunden. Ich werfe einen Blick unter das Bett. In einer Ecke entdecke ich die sauber zusammengelegte Wolldecke. Ich suche nach dem Schlüssel.
    »Nora!«
    Ich blicke auf. Das Feuer hat sich ausgebreitet und nähert
sich dem Fußende des Bettes. Ich greife nach der Decke und beginne auf die Flammen einzuschlagen. Funken fliegen und entzünden den Saum der Vorhänge. Schnell züngeln die Flammen über den Stoff und lodern bis zur Zimmerdecke. Im Raum ist es bereits glühend heiß, und das Feuer frißt sich weiter, wird immer größer, intensiver, tödlicher. Die Decke bringt nichts. Ich trete zurück, werfe einen Blick zu M. hinüber und sehe sein angstverzerrtes Gesicht.
    »Der Feuerlöscher!« rufe ich und stürze aus dem Raum. Ich reiße ihn aus dem Besenschrank in der Küche und renne zurück. Im Türrahmen erstarre ich vor Schreck, überwältigt von dem Anblick, der sich mir bietet. In den wenigen Momenten, die ich weg war, hat sich das Feuer fast auf das Doppelte ausgebreitet. Die Ecke, in der es sich entzündet hat, sieht aus wie ein riesiges Freudenfeuer. Goldrote Flammen schießen nach oben, und sämtliche Pappschachteln brennen lichterloh. Flammen lecken über die Wände. Der Teppich hat ebenfalls Feuer gefangen, die Decke ist vom Rauch schon ganz schwarz. M., dessen Gesicht zu einer Maske der Angst verzerrt ist, sieht zu, wie sich die Flammen auf das Fußende des Bettes zuschlängeln. Sie sind nur noch wenige Zentimeter davon entfernt.
    Ich entsichere den Feuerlöscher und sprühe rund um das Bett herum. Zischend quillt das weiße Pulver aus der Flasche. Ich sprühe weiter auf die Flammen neben dem Bett. Dann ziele ich auf die Schachteln. Es kommt nur noch ein spärlicher Strahl. Ich drücke noch einmal. Nichts. Ich werfe einen Blick auf die Anzeige. Sie ist im roten Bereich. Der Feuerlöscher ist leer.
    Ich schleudere ihn weg, rolle den Teppich so weit wie möglich zusammen, damit sich das Feuer nicht über den ganzen Boden ausbreitet, und renne aus dem Zimmer. Ich höre M. hinter mir herschreien. Er glaubt, daß ich ihn seinem Schicksal überlasse. Ich haste ins Schlafzimmer und greife nach dem
Telefon. Ich fange an, die 911 zu wählen, zögere dann aber. Ich könnte ihn einfach verbrennen lassen. Er hat den Tod verdient. Ohne ihn wäre die Welt ein besserer Ort. Zum zweiten Mal an diesem Tag spiele ich Gott und überlege, wieviel M.s Leben wert ist. Aus dem hinteren Zimmer dringen seine verzweifelten Schreie zu mir herüber. Plötzlich ist mir klar, wie ich mich entscheiden muß: Ich bin kein Scharfrichter.
    Ich wähle die 911, gebe alle nötigen Informationen durch und knalle den Hörer auf die Gabel. Ich reiße die Decke vom Bett. Auf dem Rückweg höre ich, wie M. meinen Namen ruft und
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