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Breit - Mein Leben als Kiffer

Breit - Mein Leben als Kiffer

Titel: Breit - Mein Leben als Kiffer
Autoren: Amon Barth
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erwidert.
    Telepathisch arrangiere ich an der Elbe ein
    Treffen mit ihr. Ich breche auf, stehe am Fluss.
    Warte lange, aber sie kommt nicht. Schließlich
    rufe ich sie an und frage sie, wo sie bleibt. Silke
    ist ziemlich irritiert, geradezu befremdet, als ich
    sie in gequältem Tonfall frage, warum sie nicht
    kommt. Nach kurzem Hin und Her legt sie auf.
    Sie will jetzt schlafen, morgen muss sie früh
    raus und arbeiten. Ich soll nach Hause gehen.
    Doch ich kann nicht. In einem wilden Anflug
    von Liebeskummer breche ich auf. Ich muss zu
    ihr. Und bin völlig unbeeindruckt davon, dass
    ich jede Erinnerung an die Hamburger
    Geographie verloren habe: Ich mache mich auf,
    Richtung Övelgönne, gen Süden zum Strand,
    den ich mir allerdings im Norden Hamburgs
    vorstelle. Von dort, da bin ich mir sicher, werde
    ich durch den Wald nach Schleswig-Holstein zu
    Silke gelangen. Eine kurzen Moment lang ahne
    ich, dass das unmöglich ist. Aber es ist mir
    egal. Ich folge einfach nur einem stillen Trieb,
    ohne länger als eine Sekunde darüber
    - 256 -

    nachzudenken, was ich überhaupt erreichen,
    was ich zu Silke sagen will, wenn ich vor ihr
    stehe.
    Nicht, dass ich den Verstand verloren habe.
    Mir fehlt nur das Nachdenken über meine
    Absicht, das Erkennen der Kontraproduktivität
    meiner zum Scheitern verurteilten Liebesfahrt.
    Um zur Elbe und von dort durch den Wald zu
    meiner Geliebten zu gelangen, gehe ich an der
    Alster entlang. Ich habe selten in meinem
    Leben die Natur um mich herum als etwas so
    Fremdartiges, Sonderbares und
    Geheimnisvolles empfunden. Im Halbdunkeln
    drehe ich mich um und sehe, wie aus dem Gras
    am Alsterufer zwei handtellergroße grüne Tiere
    hervorkriechen und mich mit ihren vier
    Tentakeln anvisieren. Es sind außerirdische
    Wesen, die mich entführen wollen. Ich versuche
    mich zu konzentrieren, ihre Erscheinung zu
    verdrängen. Nach einem Moment verschwinden
    sie tatsächlich. Später sollten sie allerdings
    noch einmal wiederkommen.
    Ich bin in letzter Zeit oft unruhig gewesen,
    habe beängstigende Dinge gesehen und
    gefühlt, doch war ich mir dabei immer mehr
    oder weniger bewusst, dass dies nur Illusionen
    meines Geistes sind. Bis jetzt. Nun werden sie
    immer mehr Teil meiner Realität.
    Die Menschen an der Alster scheinen nur
    meinetwegen dort zu sein, um mich zu
    begleiten und zu beobachten. Überall sehe ich
    - 257 -

    Botschaften für mich, Hinweise. Diese
    Vorstellung verfestigt sich in meinem Kopf als
    Folge von Indizien, die ich mir aus meiner
    Umgebung zusammensuche. An einem Baum
    sehe ich eine Wohnungsanzeige mit der
    Überschrift «PRIVAT». Es geht um ein riesiges
    Penthouse, das zu vermieten ist.
    Blitzschnell ziehe ich die Verbindung zu dem
    Rapper Spax, der ein Album mit dem Namen
    Privat herausgebracht hat. Ich reiße die ganze Anzeige ab und bin sicher, dass es sich dabei
    um eine persönliche Nachricht für mich handelt,
    die darauf hindeutet, dass ich in nächster Zeit
    diese Penthousewohnung, als Anerkennung für
    meine überragenden Raptexte, Intelligenz,
    Besonderheit, ach, weiß der Teufel wegen was,
    angeboten bekomme.
    Ich gehe weiter Richtung Dammtor-Bahnhof,
    am amerikanischen Konsulat vorbei. Die
    Polizisten in ihren schwarzen Lederuniformen
    mit den Maschinenpistolen über den Schultern
    sehen für mich aus wie gleichgeschaltete
    Sicherheitsroboter. Was soll ich eigentlich mal
    meinen Kindern erzählen, wenn wir an der
    Alster spazieren gehen und sie mich fragen,
    was denn die Männer da tun und was man mit
    den Dingern macht, die sie da umhängen
    haben?
    Noch immer mit dem Zettel in der Hand
    stehe ich am Bahnhof und schaue auf das
    Radisson-Hochhaus. Ich gucke mir den
    - 258 -

    Grundriss der Penthousewohnung auf dem
    Zettel an. Jetzt wird mir alles klar. Ich muss in
    den obersten Stock dieses Hochhauses, um dort
    irgendetwas zu erledigen, eine Mission zu
    erfüllen. Es muss was mit dieser Wohnung zu
    tun haben.
    Doch kaum gedacht, verschwindet diese Idee
    auch schon wieder aus meinem Kopf, und ich
    lasse mich in die riesige Bahnhofshalle treiben.
    Grelles Licht umgibt mich, mein Blick fällt auf
    die Waren in den geschlossenen Geschäften.
    Während ich mir die Auslagen angucke,
    verfestigt sich immer mehr der Gedanke, dass
    das alles nicht real ist. Das soll meine Welt
    sein, in der wir leben und sterben und
    Zeitschriften kaufen? Ich zweifle immer mehr
    an der Existenz von Millionen von ärmlichen
    Arbeitern, die, ganz anders als ich, schwer für
    das Nötigste
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