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Breit - Mein Leben als Kiffer

Breit - Mein Leben als Kiffer

Titel: Breit - Mein Leben als Kiffer
Autoren: Amon Barth
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zurück,
    wandere ziellos weiter, bis ich an einer
    Bushaltestelle vorbeikomme. Auf der Bank
    daneben liegt ein gelbes Kärtchen. Die
    knallgelbe Pappkarte ist in der Ecke rechts oben
    mit einem Stück funkelnder Folie beklebt, die
    mich an eine Kreditkarte erinnert. Sie sieht
    nicht wie eine von diesen serienmäßig
    hergestellten Karten aus, denn sie ist per Hand
    beschrieben.
    «Jesus ist kommend» steht darauf, darunter
    eine Psalmangabe. Ich erschrecke. Wieder ein
    Zeichen, denn gerade heute trage ich meine
    Lieblingsmütze, auf die «Jesus wärmt» gestickt
    ist. Das Ding erinnert mich an eine
    Fernsehserie, in welcher der Held eine Karte
    besitzt, mit deren Hilfe er durch die Zeit reisen
    und die ein menschliches Hologramm
    generieren kann, das ihm in brenzligen
    Situationen zur Seite steht. Es ist tatsächlich
    so, wie Samy Deluxe in Zapzap sagt. Der ganze
    Fernsehkram aus meiner Vergangenheit hat
    mich eingeholt. Ich drücke immer wieder auf
    die silberne Folie und bin super enttäuscht,
    dass ich keineswegs in eine andere Zeit
    - 266 -

    versetzt werde oder die Zeit anhält, noch ein
    Hologramm erscheint.
    Ich stecke die Karte in meine Tasche und
    gucke mich hektisch nach allen Seiten um.
    Dieses Ding muss extra jemand für mich dort
    hinterlegt haben, und ich wurde durch
    Gedankenkraft dazu gebracht, sie mir zu holen.
    Irgendjemand muss mich demnach beobachten.
    Nicht weit von mir entfernt befindet sich eine
    Autobahnausfahrt. Überall sind riesige LKWs
    unterwegs, und ich komme darum auf die Idee,
    dass hier eventuell irgendwo ein Eminem-
    Konzert stattfinden würde. Bei allem, was ich
    um mich herum wahrnehme, versuche ich, eine
    Verbindung zu meinem eigenen Dasein
    herzustellen.
    Ich sehe die Gesichter der Lastwagenfahrer,
    wie sie im Vorbeirauschen kurz zu mir
    herüberblicken. Verschlafene, bleiche
    kurzhaarige Männer, die für mich aussehen, als
    wären sie die verschworenen Lieferanten von
    geheimen UFO-Bauteilen in Akte X . All diese
    Männer würden daran arbeiten, einen
    gigantischen Konzertpark aufzubauen, wo halb
    Hamburg anwesend sein würde. Genau wie
    man es aus dem Fernsehen kennt, wenn
    Konzerte von Michael Jackson oder Herbert
    Grönemeyer gezeigt werden, doch anstatt
    Feuerzeuge und Wunderkerzen in die Luft zu
    halten und zu singen, würden die Zuschauer
    üble Gesichter ziehen, die Frauen zum
    - 267 -

    Zurschaustellen ihrer Titten bewegen und
    pogen.
    Die Pappkarte mit der Aufschrift «Jesus ist
    kommend» und einer Psalmangabe in der
    linken sowie einen feuerroten Glasdidgeridoo in
    der rechten Hand, stehe ich an einer
    Bushaltestelle und weiß nicht, ob ich mich
    großartig fühlen soll, weil mich jemand zu
    erwarten scheint, oder ob die Angst größer ist,
    weil mich jemand beobachtet.
    In einem Anflug von Klarheit schaffe ich es
    doch wieder irgendwie nach Hause. Aber auch
    dort beruhigen sich meine Gedanken nicht.
    Meine Phantasie denkt sich in einen immer
    mysteriöseren Film hinein. Was ist noch
    Realität? Die Figuren aus Akte X , Fear and Loathing , Matrix und anderen Filmen haben sich verselbstständigt. Auch die Wörter der Rapper
    führen ein Eigenleben in meinem Hirn. Überall
    Agenten und Außerirdische. Dieses Gefühl,
    diese Gedanken werden unerträglich. Ich muss
    kiffen. Damit du dich beruhigst, wiederhole ich
    innerlich gebetsmühlenartig. Mehr kiffen, mehr
    Gedanken, mehr Gedanken, noch mehr kiffen.
    Dann ist alles Gras weg. Ich suche mein ganzes
    Zimmer ab. Alles weg. In nur wenigen Stunden
    alles weg, was sonst zwei Wochen lang für vier
    gereicht hätte.
    Ich habe panische Angst davor einzuschlafen,
    weil ich befürchte, als Hitler wiedergeboren zu
    werden. Ich liege tausend Meter unter der Erde
    - 268 -

    in einem chinesischen Felsgrab und sinke
    immer tiefer. Ich bin von unsichtbaren Wesen
    umgeben. Alle Menschen um mich herum sind
    Hologramme. Wenn ich diese Suppe esse, ist
    das ein Zeichen an die Außerirdischen, dass ich
    gegessen werden will. Ich bin mitten im
    Weltkrieg, vor dem Fenster höre ich schon die
    Truppenaufmärsche. Alle können meine
    Gedanken lesen. Mein Geist entdeckt eine neue,
    eigene Welt hinter dem Spiegel. Wenn ich durch
    ihn hindurchgehe, betrete ich ein neues
    Universum. Ich darf mit niemandem mehr
    reden, denn meine Gedankenwellen können
    anderen schaden. Deshalb muss ich allein
    bleiben.
    Nur noch rotes Licht um mich herum.
    Drei Tage liege ich auf dem Boden unserer
    Wohnung. Esse nicht. Trinke nicht. Rede nicht.
    Durch meine
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