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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug
Autoren: Marieke Pol
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hat, sie schlägt dann lachend und kopfschüttelnd ihre Hand gegen die Brust, ach je, ich und das Altwerden. Aber der wirkliche Grund ist das Geld. Diese Unterwäsche ist teuer. Derks Rente reicht nicht aus, und er will nicht, dass sie mit den Kindern darüber redet. Genau wie früher ist alles Schuld der Gewerkschaft, der Eisenbahngesellschaft, der Gemeinde, all der Schufte, die ihm das Arbeiten unmöglich gemacht haben. Einen Anspruch auf eine Rente aus Holland erheben, nie im Leben, weg ist weg.
    Sie hat heimlich einen Betrag zusammengespart, für unerwartete Zwischenfälle, die Enkelkinder, Extraausgaben. Während sie die Badewanne mit heißem Wasser volllaufen lässt, sieht sie hinüber in das Hotelzimmer. Vielleicht wird sie hier das ganze Geld ausgeben, sie ist nicht so lieb, wie alle denken. Dieses Kingsizebett ist ganz für sie allein. Die letzten Jahre ist sie mitten in der Nacht aufgewacht und hat Derk gelauscht, der sich mit den Nägeln die Kopfhaut kratzte, seinem angespannten, wütenden Schlaf, er knirschte mit den paar Zähnen, die ihm geblieben waren, während sein Gebiss im Glas auf den nächsten Morgen wartete.
     
    Es scheint ein Naturgesetz zu sein, dass der Täter an den Ort des Verbrechens zurückkehrt. Trotz der köstlichen
Pie
 – die habe ich am meisten vermisst, die
Pies
 – rutscht Marjorie unbehaglich auf dem Stuhl hin und her, sodass das Rattan knarrt. Dass sie mit ihrer linken Hand essen muss, trägt nicht gerade zu ihrer Laune bei. Sie hätte nicht kommen sollen. Es ist dumm von ihr. Sie versucht, sich den Moment in Erinnerung zu rufen, als die Entscheidung definitiv war, als ein aufregender Gedanke, mit dem man spielte, plötzlich zu einer vollendeten Tatsache wurde.
    »Schmeckt es dir, Mutti?«
    Sie nickt, winkt übertrieben vergnügt – bloß kein Misstrauen erwecken. Ihr Sohn geht weiter, die Kitchener Street hinunter, in Richtung Park. Hier in Martinborough gibt es nicht viel zu sehen, aber er kann alles genießen. Das hat er von seinem Vater. Grummelnd reißt sie ein Stück von ihrer
Pie
ab, eine grüne Erbse schießt über den Rand ihres Tellers hinweg und landet auf dem Boden. Irgendwann sterben wir alle. Sie hätte keinen Wein trinken sollen, in der Sonne, mit Jetlag, sie hätte aufmerksam bleiben sollen, sie muss nachdenken. Aber der Pinot Noir ist göttlich, und schließlich ist man nicht umsonst in einem Weingebiet.
    »Truly glorious, the prince among reds«, steht auf der Speisekarte. Sie hat sofort nach Franks Label gesucht, das simple, schwarze Zeichen, in hellem Gelb,
Druivebloed
, »Traubenblut«, und darunter die Illustration einer wunderschönen Villa. Der Kellner hat ihr höflich das Glas halb vollgeschenkt und über den Tod von Frank de Rooy geschwiegen, eine Touristin würde ohnehin nicht begreifen, was der Verlust für die Gegend bedeutet. Das muss er selbst wissen. Jeder muss das selbst für sich entscheiden. Oder vielleicht auch nicht. Elende Zweifel. Sie winkt dem Ober, zeigt auf ihr Glas, das schon wieder leer ist, ihre Bewegungen mit links sind ungelenk und hölzern. Ist das mit dem Handgelenk nun vor ein oder zwei Tagen passiert, irgendwo hat sie die Zeit verloren, nach diesem Glas darf sie wirklich nichts mehr trinken. Und Bob sollte sich zu ihr setzen. Sie würde gerne ein Stündchen schlafen, niemand, der so wunderbar schlafen kann wie sie, aber sie kann des Arms wegen nicht auf ihrer Einschlafseite liegen. Außerdem ist es zu staubig im Zimmer, das hat sie sofort in den Bronchien gespürt, und dann auch noch der ganze Ärger mit dem Umziehen mit Gips. Sie legt ihren linken Ellbogen auf den Tisch und stützt den Kopf auf. Es ist sinnlos, über all die Konsequenzen nachzudenken, zu viel Wein, zu müde von der Reise. Nachher. Nachher muss sie gut nachdenken. Denn
sie
muss eine Entscheidung treffen, das schimmert selbst durch die schweren Vorhänge noch hindurch. Wenn du keine Entscheidung triffst, wird es jemand anderes für dich tun – sie hört Armreifen klimpern, eine tiefe, heisere Frauenstimme sagt: Oh dear. Dann schmiegt sie sich behaglich in das warme Orangegelb hinter ihren Augenlidern.
     
    Dass der Moment kommen wird, in dem sie alle gleichzeitig ein Mittagschläfchen auf ihren Zimmern halten, ist vorauszusehen, sie alle sind in dem Alter. Esther holt nun den Schlaf nach, den sie nachts nicht bekommt.
    Marjorie hat ihren Reisewecker gestellt, um einen Jetlag zu verhindern, so wie sie es gelesen hat. Außerdem isst sie gern früh. Um sechs
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