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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug
Autoren: Marieke Pol
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verloren hatten. Man erzählte sich, dass sie zwei Tage lang in der Kälte auf ihrem Hausdach gesessen hatten, während seine Mutter ununterbrochen geschrien hatte, da ihr Baby ins Wasser geglitten war … und als die Flut am Ende des zweiten Tages zurückging, brach das Dach des Hauses ab wie ein Stück Pappe, und Derk, so hieß er, war der Einzige der Familie, der sich auf einem im Wasser treibenden Balken hatte halten können. Ada konnte ihre Augen nicht von ihm lassen, die Tragik verlieh ihm einen wunderbaren Glanz, wie ein Filmstar, wenn er bei näherem Hinsehen auch eigentlich ganz normal war. Als er sie dann endlich ansprach, nach dem Gottesdienst vor der Kirchentür, da war sie von dem Wunsch erfüllt, ihm so viel Trost wie irgend möglich zu geben. Im geistlichen Sinne.
    Er hatte seine Auswanderung nach Neuseeland beantragt und stand kurz vor der Abreise. Auf einem ihrer Ausflüge nahm er sie mit zum Straßenbahndepot von Zijpe, wo nach der Katastrophe ein Notfriedhof eingerichtet worden war. »Dem unbekannten Mädchen«, stand auf dem Kreuz, vor dem Ada stehen blieb.
    »Wir leben nicht zum Spaß«, schrie er gegen den Wind an, »doch wenn man sich so abrackern muss, um so wenig zu schaffen, dann ist es Zeit zu gehen.«
    Ada nickte, wiederholte murmelnd seine Worte, sie lernte diese Art von Sätzen auswendig.
    »Du kannst zehn Jahre lang verlobt sein und weißt trotzdem nicht, wo du wohnen sollst.«
    Es lag am Wohnungsmangel, an der Arbeitslosigkeit, an der Regierung, an den Gesetzen, der Bürokratie, das erklärte er ihr in immer böserem Ton haarklein, als würde er gegen seinen Willen gezwungen, das Land zu verlassen und sie Teil der Verschwörung sein.
    »Nach dem Krieg sollte alles besser werden, nun ja, aber es ist doch alles einfach fürchterlich.«
    Sie sah ihn von der Seite an, während er eine Handvoll Sand von sich wegschleuderte. Ihre Treffen waren nicht wirklich einfach, und dann auch noch dieser merkwürdige Akzent, doch seine Wut rührte sie, und sie hatte sich nun einmal vorgenommen, ihm eine Stütze zu sein. »Nicht, dass du dort nicht auch tüchtig anpacken musst, aber wenigstens kannst du es da zu etwas bringen.«
    Sie hatte die Kraft ihres Fleisches unterschätzt. Als er sie nach Oude Tonge mitnahm und sie bei den Überresten seines Elternhauses standen, als sein verschlossenes Gesicht mit einem Mal aufbrach und sie beim Anblick seiner Tränen nicht anders konnte, als ihre Arme um ihn zu schlagen, da schien ihr Körper selbständig auf seine Hände zu reagieren, die überall Trost suchten, und wie von selbst bot sie ihm ihren Mund an, und natürlich konnte er da gegen all das Fleischliche, gegen ihre verlockende Molligkeit keinen Widerstand mehr leisten. Und was danach passierte, war dann auch ihr selbst zuzuschreiben.
    Eine Woche später brachte sie ihn nach Waterman, ihr Abschied war rau, da die Sünde zwischen ihnen stand. Sie sah ihm nach, wie er an Bord ging, ein schmaler, zorniger Junge mit flachsblondem Haar, auf dem Weg in eine bessere Zukunft.
    Ada, die befürchtete, dass es sinnlos war, den Herrn um Vergebung einer Sünde dieses Ausmaßes zu bitten, hatte den ganzen Vorfall verdrängt und wäre mit ihrer starken Einbildungskraft in der Lage gewesen, es als nie geschehen zu betrachten, vielleicht sogar den flachsblonden Jungen langsam zu vergessen, hätte nicht derselbe eigenwillige Körper ihr einen Riegel vorgeschoben. Nach fünf Wochen, als sie weit über der Zeit war und eines morgens schweißüberströmt aufwachte, da sie geträumt hatte, wie ein neugeborenes, nacktes Baby ihr immer wieder aus den Händen glitt und schließlich auf dem Fliesenboden zerschellte, wusste sie, dass ihr Schicksal besiegelt war.
    Es tat weh, ihre Eltern wegen dieses Fehltritts leiden zu sehen. In ihren Augen sah sie ihre Vermutung bestätigt, dass sie ein Teufelskind war, eine Verdammte. Es war die Pflicht der Frau, dafür zu sorgen, dass der Mann nicht in Versuchung gebracht wurde. Ihre Tochter hatte sich selbst als Leckerbissen angeboten. Ein abgelecktes Butterbrot, heulte ihre Mutter. Sie musste in der Kirche ein öffentliches Sündenbekenntnis ablegen, ihre Reue vor Gott und Seiner Gemeinde bekunden, es war ein Albtraum, aus dem sie jedoch nicht erwachen konnte. Ein Brief voll Scham ging nach Neuseeland, ein bissiges Schreiben kam zurück, sie wurden ferngetraut, ein entfernter Cousin vertrat Derk, sie durfte nicht in Weiß heiraten, der Pastor prophezeite, dass Gott sie selbst oder ihre
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