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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug
Autoren: Marieke Pol
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denn nicht für deinen Vater?«
    Das war unfair, doch ihr fiel nichts Originelleres ein. Natürlich freute er sich für Daddy, der in Holland einen besseren Job bekommen hatte. Mit hängenden Schultern trottete er in sein Zimmer, in diesem Land konnte er nicht draußen spielen, und Freunde hatte er noch nicht. Sie hatten versäumt, dem Jungen Niederländisch beizubringen. Wir haben es versäumt, versäumt. Das Wort kreist in ihrem Kopf umher, verliert schnell seine Bedeutung und wird zu einem sinnlosen Begriff.
    In Schiphol hat sie schließlich ihren gesunden Arm um den Rücken ihres erwachsenen Sohnes gelegt und ihn durch die Drehtür des Flughafens geschoben, heutzutage muss man zwei Stunden vorher einchecken, und das nehmen sie scheinbar sehr genau. In der Abflughalle kam Vera keuchend angerannt, weil die Tüte Lakritz für Hannah noch im Auto gelegen hatte. Stell dir vor, hatte Bob lachend gesagt, nur wegen dieser Lakritze will sie doch überhaupt kommen.
    Die Schmerzmittel wirken, sie spürt, wie sich ihre Muskeln entspannen, doch einzuschlafen kann sie sich nicht erlauben. Sie hat gut zwanzig Stunden Zeit zum Nachdenken, etwas weniger, wenn man das Umsteigen in Kuala Lumpur morgen abzieht, zwanzig Stunden, um die Entscheidung zu treffen, die alles auf den Kopf stellen wird, und diese Stunden braucht sie dringend, denn noch flattern ihre Gedanken in alle Himmelsrichtungen, und jedes Mal, wenn sie einen fangen will, verflüchtigt er sich, wie ein Traum beim Erwachen.
     
    Ada wird von ihrer Tochter zu dem kleinen Flughafen von Hokitika gefahren. Am Tag zuvor ist sie mit dem Bus aus Greymouth bei Julie und Gary angekommen und hat nach dem Abendessen, auf einem Spaziergang, ihrer Ältesten die ganze Geschichte erzählt, bis ins kleinste Detail. Sie sind am Strand entlanggeschlendert, zwischen abgeschliffenen, grauen Steinen und hell verblichenen Zweigen und Baumwurzeln, die dalagen, als wären sie kaltherzig aus dem Ozean geworfen und dort zurückgelassen worden, tot. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren, sodass sie ihre Augen gerade nach vorn auf den Strand gerichtet hielten und sich nicht anzusehen brauchten. Von Zeit zu Zeit ergriff Julie ihre Hand und drückte sie, doch als Ada mit ihrem Bekenntnis fertig war, brach ihre Tochter in Tränen aus. Es gibt ihn nicht, den Weihnachtsmann.
    Ada hat ihr über den früh gealterten Rücken gestrichen und sich gefragt, warum sie sich jetzt nicht schuldig, sondern erleichtert fühlte. Nahezu fröhlich, wie ein junges Mädchen, das das Leben schwindelerregend spannend findet. Ich bin nicht so lieb, wie alle denken. Sich mit den Armen warm reibend, sah sie sich um, blickte auf den Ozean, die hohen Wellen, den rauen Strand, noch nie hat die Schönheit dieser Küste sie kaltgelassen, dieser unwirtliche Ort, doch zum ersten Mal schaute sie mit dem Blick eines Reisenden, der dies bald zurücklassen wird. Sehr schön alles, aber ich muss weiterziehen … tralala, hätte sie in Gedanken fast hinzugefügt, sie schüttelte den Kopf, wie um diesen Unfug zu verscheuchen, denn auch sie liebt ihre Kinder und sieht sie nicht gerne weinen.
    Jetzt, auf dem Flughafen von Hokitika, ist ihr Übermut verschwunden. Während sie durch die Halle zu dem kleinen Gate geht, spürt sie die Augen ihrer Tochter hinter der Glaswand auf sich gerichtet. Das macht sie nervös, und sie kann in der Eile ihr Ticket nicht finden, sei mir nicht böse, murmelt sie in den Raum, sucht erst ihr Brillenetui und lässt es dann aus der Hand fallen. Aus einem Impuls heraus reicht sie ihre Tasche der freundlichen Flugbegleiterin, soll sie das Ticket doch lieber selbst suchen, und in der Zwischenzeit streckt sie ihren Daumen in Richtung Julie in die Höhe, zum Zeichen, dass sie alles im Griff hat. Doch am Gesicht ihrer Tochter kann sie ablesen, dass sie nicht wirklich überzeugt davon ist. Wissen Pete und Dan davon?, hat sie am Strand schluchzend gefragt.
    »Nein, Schatz. Nur du.«
    »Wann erzählst du es ihnen?«
    Sie wird ihre beiden Söhne und ihre Familien in Auckland und Kerikeri besuchen und die ganze Geschichte noch einmal erzählen müssen. »Darf ich es Gary erzählen?«
    Gestern Nacht hat sie Geflüster gehört, und ihr Schwiegersohn ist heute Morgen am Frühstückstisch betont herzlich gewesen, was sie irritierte, zugleich aber auch rührte. Take care, Mum. Ein Augenzwinkern. Reine Unbeholfenheit.
     
    Esther versucht, genau auf dem blauen Strich zu laufen, der sie von hinten zum Domestic-Flights-Gebäude
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