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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen
Autoren: Dean R. Koontz
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Licht auf das ungezähmte Land, Licht von einer Dichte fast wie Regen, und alles war rein und wild. Auf dem baumlosen Rückgrat eines Felskammes, wo das während der kurzen Regenzeit niedrig sprossende Gras bereits wieder dürr und braun geworden war, setzte sich Travis auf eine große Felstafel und nahm den Rucksack ab. Eine eineinhalb Meter lange Klapperschlange sonnte sich auf einem anderen flachen Felsen in etwa fünfzehn Meter Entfernung. Sie hob den bösartigen, keilförmigen Kopf und faßte ihn ins Auge. Als Junge hatte er in diesen Bergen Dutzende von Klapperschlangen getötet. Er holte den Revolver aus dem Rucksack und stand auf. Er ging ein paar Schritte auf die Schlange zu.
    Die Klapperschlange richtete sich weiter vom Boden auf und starrte ihn eindringlich an. Travis machte einen weiteren Schritt, dann noch einen, ging in Schußstellung, die Waffe mit beiden Händen haltend. Der Schlangenleib geriet in windende Bewegung. Aber bald würde das Tier erkennen, daß es auf diese Distanz nicht zustoßen konnte, und den Rückzug anzutreten versuchen. Obwohl Travis überzeugt war, daß er leichtes und sicheres Ziel hatte, stellte er überrascht fest, daß er es nicht fertigbrachte, abzudrücken. Er war in diese Vorberge nicht nur deshalb gekommen, um sich eine Zeit in Erinnerung zu rufen, in der er seines Lebens froh gewesen war, sondern auch, um Schlangen zu töten, falls er welche zu Gesicht bekäme. In letzter Zeit hatten die Einsamkeit und die schiere Sinnlosigkeit seines Lebens ihn abwechselnd deprimiert und geärgert, sein nervlicher Zustand glich dem einer gespannten Armbrustsehne. Und diese Anspannung bedurfte der Lösung durch gewalttätige Aktivität; ein paar Schlangen zu töten - womit ja niemand ein Schaden zugefügt wurde - erschien ihm als perfektes Rezept in seiner Bedrängnis. Als er jetzt freilich diese Klapperschlange anstarrte, erkannte er, daß ihre Existenz weniger sinnlos war als seine: Sie füllte eine ökologische Nische aus und hatte wahrscheinlich mehr Freude am Leben als er seit langem. Er begann zu zittern, die Waffe wanderte aus dem Ziel, und er fand in sich nicht den Willen zu schießen. Er war nicht würdig, Vollstrecker zu sein, also senkte er den Revolver und kehrte zu der Felsplatte zurück, wo er seinen Rucksack liegengelassen hatte. Die Schlange war offensichtlich friedlich gestimmt, denn ihr Kopf senkte sich in geschmeidiger Bewegung auf den Stein zurück, dann lag sie still. Nach einer Weile riß Travis das Päckchen Oreos auf. In seiner Jugend waren das seine Lieblingskekse gewesen. Seit fünfzehn Jahren hatte er keine mehr gegessen, und sie schmeckten fast so gut, wie er sie in Erinnerung hatte. Er trank Cool-Aid aus der Feldflasche, aber das befriedigte ihn bei weitem nicht so wie das Backwerk. Für seinen Erwachsenengaumen war das Zeug viel zu süß.
    Man kann die Unschuld, die Begeisterung, die Freuden und die Gefräßigkeit der Jugendzeit wieder herbeirufen, doch wohl nie ganz zurückgewinnen, dachte er. Er ließ Klapperschlange und Sonne in ihrer Zweisamkeit zurück, schulterte aufs neue seinen Rucksack und stieg den Südhang des Kamms hinunter in den Schatten der Bäume am oberen Ende des Canyons, wo die Luft erfüllt war vom erfrischenden Duft der im Frühjahrswachstum stehenden immergrünen Gehölze. Auf der leicht nach Westen abfallenden Canyonsohle, wo tiefe Dunkelheit herrschte, wandte er sich nach Westen und folgte einem Wildpfad. Einige Minuten danach kam er zu einem Paar großer kalifornischer Sykomoren, die sich zueinander neigten und so eine Art Bogen bildeten, durchschritt diesen und erreichte eine Stelle, wo das Sonnenlicht in eine Waldschneise flutete. Am anderen Ende der Lichtung führte die Spur in weiteres Gehölz, wo Rottannen, Lorbeerbäume und Sykomoren dichter standen als irgendwo sonst. Vor ihm fiel der Boden steil ab, strebte der Canyonsohle zu. Er stand am Rande des Lichteinfalls, die Spitzen seiner Stiefel bereits im Schatten, und schaute den abschüssigen Pfad hinunter. Nur etwa fünfzehn Meter weit konnte er sehen, dann fiel fugenloses Dunkel über die Fährte. Travis wollte eben seinen Weg fortsetzen, als ein Hund aus dem dürren Gebüsch zu seiner Rechten brach und keuchend und hechelnd geradewegs auf ihn zurannte. Es war ein Golden Retriever, dem Aussehen nach sogar reinrassig. Ein Rüde. Er schätzte ihn auf wenig älter als ein Jahr, denn obwohl bereits nahezu ausgewachsen, hatte er doch noch etwas von der Munterkeit des Welpen an sich.
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