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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen
Autoren: Dean R. Koontz
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verängstigten, kindlichen Wilden, der in jedem menschlichen Wesen steckt - das genetische Gespenst dessen, was wir einmal waren - abgegeben und konnte nicht ohne weiteres die Kontrolle zurückgewinnen, obwohl ihm die Absurdität seines Verhaltens bewußt war. Der nackte Instinkt herrschte jetzt, und dieser Instinkt sagte ihm, daß er rennen mußte, rennen, zu denken aufhören und einfach rennen. Nahe dem oberen Ende des Canyons bog der Pfad nach links und wand sich die steile Nordwand hinauf bis zum Kamm. Travis hetzte um eine Biegung, sah einen Baumstamm im Weg liegen, sprang, verfing sich aber mit einem Fuß im modernden Holz. Er fiel vornüber platt auf den Bauch. Benommen lag er da, ohne Atem, konnte sich nicht bewegen, erwartete, etwas werde sich auf ihn stürzen und ihm die Kehle zerfetzen. Der Retriever hetzte den Pfad zurück, übersprang Travis, landete sicher hinter ihm. Er bellte wild an, was immer ihnen nachjagte, viel drohender jetzt als vorhin, als er Travis auf der Lichtung angegriffen hatte. Travis wälzte sich zur Seite und setzte sich keuchend auf. Unten auf dem Pfad sah er nichts. Dann erkannte er, daß aus dieser Richtung den Retriever nichts beunruhigte, daß dieser vielmehr quer auf dem Pfad stand und sich dem Unterholz östlich von ihnen zuwandte. Er bellte, dabei Geifer verspritzend, schrill und so lautstark, daß es Travis in den Ohren weh tat. Die wilde Wut dieser Laute wirkte einschüchternd. Der Hund warnte den unsichtbaren Feind, nicht näher zu kommen.
    »Ganz ruhig. Junge«, sagte Travis gedämpft.
    »Ruhig.« Der Retriever hörte zu bellen auf, schaute aber Travis nicht an. Er starrte unverwandt in die Büsche, zog die schwarzen Lefzen von den Zähnen zurück und ließ tief in der Kehle ein Knurren hören. Immer noch heftig atmend, kam Travis auf die Beine und blickte nach Osten ins Gehölz. Immergrüne Gewächse, Sykomoren, ein paar Lärchen. Schatten wie dunkle Tuchfetzen waren da und dort durch goldene Nadeln und Lichtkeile an ihren Platz geheftet. Büsche. Do rnengestrüpp. Kletterpflanzen. Ein paar verwitterte, zahnähnliche Felsformationen. Nichts, was außergewöhnlich gewesen wäre. Als er sich hinunterbeugte und dem Retriever die Hand auf den Kopf legte, hörte der Hund zu knurren auf, als verstünde er seine Absicht. Travis hielt den Atem an und lauschte nach Bewegung im Gebüsch. Die Zikaden blieben stumm. Kein Vogel sang in den Bäumen. Der Wald war so still, als hätte das riesige, kunstvolle Uhrwerk des Universums zu ticken aufgehört. Er war sicher, daß nicht er die Ursache der abrupten Stille war. Vorhin hatte sein Marsch durch den Canyon weder Vögel noch Zikaden gestört. Da war etwas. Ein Eindringling, den die gewöhnlichen Waldgeschöpfe offensichtlich nicht billigten. Er holte tief Luft und hielt den Atem an, lauschte angestrengt, um die leiseste Bewegung im Wald zu hören. Und jetzt vernahm er das Rascheln im Gebüsch, das Knacken eines Zweiges, das weiche Knirschen trockener Blätter - und den entnervend fremdartigen, schweren, rauhen Atem von etwas Großem. Es klang, als wäre es etwa zwölf Meter entfernt, aber er konnte seinen Standort nicht genau bestimmen. Der Retriever neben ihm war erstarrt. Seine Schlappohren waren leicht aufgerichtet, lauschten nach vorn. Der rasselnde Atem des unbekannten Widersachers war so schauerlich - sei es nun wegen der Echowirkung des Waldes und des Canyons oder einfach deshalb, weil das Ganze schauerlich war -, daß Travis schnell seinen Rucksack abnahm, die Lasche aufzog und die geladene 38er herausholte. Der Hund starrte den Revolver an. Travis hatte das unheimliche Gefühl, das Tier wisse, was ein Revolver war, und sei mit der Waffe einverstanden.
    Travis fragte sich, ob das Ding im Wald ein Mensch sei, und rief:
    »Wer ist da? Kommen Sie raus, damit ich Sie sehen kann!« In den heiseren Atem im Gebüsch mischte sich jetzt ein dumpfes, drohendes Knurren. Der grausige, kehlige Laut ließ Travis hochfahren. Sein Herz schlug noch heftiger, er wurde ebenso starr wie der Retriever an seiner Seite. Einige endlos dahintickende Sekunden lang begriff er nicht, warum allein dieses Geräusch einen solchen Strom der Angst durch seinen Körper jagte. Dann wurde ihm bewußt, daß das, was ihn so erschreckte, die Mehrdeutigkeit des Geräusches war: Das Knurren der Bestie war ganz eindeutig das eines Tieres... Und doch war da noch eine nicht beschreibbare Eigenschaft, die auf Intelligenz schließen ließ, ein Klang, ein Tonfall, fast wie
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