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BRAINFUCK

BRAINFUCK

Titel: BRAINFUCK
Autoren: Alfred Berger
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ihr der Verbrecher sein Vermächtnis mitteilen, eine letzte Nachricht an die Menschheit?
    »Näher«, krächzte er.
    Sie führte ihr Ohr bis auf wenige Zentimeter an seinen Mund heran. Der Wachmann an der Tür räusperte sich und machte einen Schritt vorwärts.
    Dr. Denkscherz winkte ihn zurück. »Ist gut Werner, der kann mir nichts mehr tun.«
    Sie fühlte Brächtkens Atem an ihrer Wange. Er roch nach Fäulnis. Ein Schauer rann über ihren Rücken.
    »Hör zu, Sandra. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich möchte dir sagen, dass es mir leidtut, dass ich den Frauen die Brüste abgeschnitten habe.«
    Er atmete schwer und zischend.
    Diese Reue passte in keiner Weise zu dem Bild, das sich Dr. Denkscherz von ihm gemacht hatte. Er hatte die Brüste seiner Opfer in der Kühltruhe aufbewahrt. Die der Zwillinge waren, mit Sperma und Blut verklebt, in seinem Bett gefunden worden. Gespannt lauschte sie seinen nächsten Worten.
    »Ich hätte ihnen die Fotzen rausschneiden sollen, die wären besser zu ficken gewesen.«
    Sein schäbiges Lachen ging in ein pfeifendes Husten über, das langsam erstarb.
    Dr. Denkscherz richtete sich auf, nahm ein Papiertaschentuch aus dem Spender und wischte sich die Speichelspritzer vom Gesicht. Sie fühlte den Puls, drückte dem Mann die Augen zu, die im Tod noch ein teuflisches Glitzern verschickten, und klingelte nach dem Pfleger. In der Krankenakte notierte sie die Todeszeit: 18:37 Uhr. Erstaunt stellte sie fest, dass ein Organspenderausweis an das Klemmbrett geheftet war. Das folgende Prozedere war gesetzlich vorgeschrieben und die Klinikleitung legte besonderen Wert darauf, dass es buchstabengetreu befolgt wurde.
    Man entnahm Dietmar Brächtken beide Nieren, die Hornhäute der Augen und das Pankreas.

    *

    Ich lebe. Nein, ich bin. Wer bin ich? Wo bin ich? Ich kann meine Augen nicht finden. Ich kann keine Arme und Beine finden. Ich kann mich nicht finden!

    ***

    »Hallo Jana, du bist ja schon richtig wach!« Die Ärztin strahlte über das ganze Gesicht.
    »Hallo, Frau Doktor …«
    Dr. Glaser unterbrach sie: »Du sollst mich doch Kischa nennen!«
    Sie erreichte das Bett, beugte sich über das blonde Mädchen und nahm vorsichtig dessen Nase zwischen Zeige- und Mittelfinger.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte sie, während sie Janas Kopf sacht hin und her bewegte.
    »Ich bin müde.« Ihre Stimme klang leise, aber klar.
    »Das ist normal nach so einer langen Operation. Ich habe mir gerade deine ersten Laborwerte angesehen. Es sieht sehr, sehr gut aus«, eröffnete die Ärztin mit einem Seitenblick auf Frau Herbst, Janas Mutter, die an der anderen Seite des Betts saß und die Hand ihrer Tochter hielt.
    »Wann darf ich denn nach Hause?« Janas Augen wanderten zwischen ihrer Mutter und Dr. Glaser hin und her.
    Der feuchte Schimmer in den Augen von Frau Herbst verstärkte sich. »Ein paar Tage wirst du noch bleiben müssen, Liebling. Aber ich komme dich jeden Tag besuchen, das verspreche ich«, versuchte sie zu trösten.
    »Und wenn die Werte weiterhin so hervorragend sind, verlegen wir dich morgen oder übermorgen auf ein normales Zimmer. Zu den anderen Kindern«, fügte Dr. Glaser hinzu und rückte dem Mädchen die Atemmaske zurecht.
    Sie stand auf, nahm das Krankenblatt zur Hand und überprüfte die Anzeigen der Monitore. »Es ist …«, sie unterbrach sich und sprach flüsternd weiter, »… nicht nötig, dass Sie länger bleiben, Frau Herbst. Es sieht wirklich gut aus und Sie können hier nichts für Jana tun – zumal sie viel schläft.«
    »Ich komme morgen gegen fünfzehn Uhr wieder. Danke, Frau Doktor!« Sie stand auf und strich die Sitzfalten aus dem Rock. Aus ihrem Gesicht sprach Mitgefühl und Kischa glaubte, Schuldgefühle darin lesen zu können.
    »Ich werde jede Stunde nach Jana sehen«, versprach Kischa und geleitete die besorgte Frau zur Tür.

    *

    Ich werde. Ich fühle. Ich habe Grenzen, ein materielles Sein. An meiner Seite ist Schmerz. Es gibt Bahnen, die zu mir führen und von mir weg. Ich verfolge diese Bahnen. Außerhalb ist noch mehr Materie. Ich strecke meine Fühler aus und taste. Es bewegt sich, es atmet. Ich erinnere mich: ICH habe geatmet. In einem früheren Leben? Leben! Das da draußen ist Leben. Ich versuche weiter zu tasten, der Schmerz setzt eine Grenze. Ich habe Zeit. Ich werde warten.

    *

    »Baby, Baby, Baby, oooh Like, Baby, Baby, Baby noo - oohh Like, Baby, Baby, Baby oooh I thought you always be mine …«
    Kischa Glaser zupfte den Ohrhörer aus Janas
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