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BRAINFUCK

BRAINFUCK

Titel: BRAINFUCK
Autoren: Alfred Berger
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Gehörgang. »Guten Morgen, junge Dame. Dir scheint es wirklich gut zu gehen. Ich hab dich schon auf dem Flur singen gehört.«
    »Das ist Justin Bieber, den finde ich total süß!«, verkündete das Mädchen fröhlich.
    »Ich weiß, meine Tochter mag den auch«, lachte Dr. Glaser und hob das weiße Tuch von dem mitgebrachten Tablett. Jana verzog das Gesicht. »Och nöööö, nicht schon wieder Blut abnehmen, ich hab' fast keins mehr!«, protestierte sie.
    »Nur noch die beiden Röhrchen, dann ist bis Übermorgen Schluss«, versprach die Ärztin, nahm den Arm des Mädchens und besprühte die Armbeuge mit Desinfektionsmittel. Routiniert fand sie mit der Nadel die Vene und sah zu, wie das dunkle venöse Blut in die Behälter strömte. »Das war's! Ging schnell, oder?« Sie zog die Kanüle zurück und drückte einen Zellstofftupfer auf die Einstichstelle. »Schön fest draufdrücken!«
    »Das kenn' ich doch, Doktor Kischa«, beschwerte sich Jana und versuchte tapfer auszusehen, obwohl sie sich mulmig fühlte.
    Dr. Glaser etikettierte die Proben und verabschiedete sich von Jana. »Ich bringe die ins Labor und komme später noch einmal zu dir.«
    »Duuuhuuu, Doktor Kischa«, hielt das Kind die Ärztin zurück, „ich glaub', da lebt was in mir.«
    »Natürlich lebt es, Jana. Es wäre ärgerlich, wenn deine neue Niere nicht leben würde.«
    Mit dieser Erklärung verließ sie das Zimmer.
    Jana stöpselte sich ihren Kopfhörer zurück in die Ohren und sang, genauso disharmonisch wie zuvor, mit ihrem Idol.

    *

    Ich kann die Grenze überwinden. Mich hineingleiten lassen, hineinkriechen in das ›Außen‹. Es will mich aufnehmen, zu einem Teil von sich machen. Ich wehre mich, greife um mich, nehme meinerseits ein, assimiliere Gewebe. Ich kann in Nervenbahnen eindringen, Reize aufnehmen und absenden. Ich verbinde mich.

    *

    Kischa Glaser hob den Kopf. »Herein!«
    Eine Schwester mit auffallend roten Haaren steckte den Kopf durch die Tür. »Die Frau Herbst möchte zu Ihnen.«
    »Auf die habe ich gewartet, Schwester Sabina. Bitten Sie sie doch herein.«
    Dr. Glaser klappte den Ordner zu, in dem sie gelesen hatte, stand auf und ging Ihrer Besucherin entgegen. Sie bot Janas Mutter einen Stuhl am Besprechungstisch an und nahm ihr gegenüber Platz.
    »Schön, dass Sie Zeit haben, Frau Herbst. Ich will mit Ihnen über Janas Fortschritte nach der Transplantation sprechen«, eröffnete sie und gab sich Mühe, jedes Wort zu überdenken, bevor sie es aussprach.
    »Es gibt doch keine …«, Frau Herbst suchte nach dem Wort, »… Komplikationen?«
    Dr. Glaser erzählte ihr lächelnd, dass es keinen Grund zur Besorgnis gäbe. Es sei vielmehr eine äußerst positive Entwicklung im Gange. Keinerlei Abstoßungsreaktion sei zu beobachten, das Immunsystem scheine auf das neue Organ nicht zu reagieren. Das sei zwar ungewöhnlich, doch in keiner Weise bedenklich – im Gegenteil!
    Sie zeigte Janas Mutter die Tabellen mit den Laborergebnissen und erklärte ihr die einzelnen Werte ausführlich. Man könne keinen Unterschied zwischen Janas Werten und denen eines gesunden Menschen finden, führte sie aus. Das ergäbe ein verblüffendes Bild, das man sich näher ansehen müsste, um eventuelle Gründe und deren Verwertbarkeit für künftige Transplantationen zu prüfen.
    »Ich kann Ihnen versichern, dass ich in meiner ganzen Laufbahn noch nie eine derart hervorragende Rekonvaleszenz erlebt habe. Mein Doktorvater, Professor Schneider von der Charité Berlin, würde sich Jana gern ansehen. Er ist ebenfalls erstaunt über die positive Entwicklung.«
    Frau Herbst rutschte auf der vordersten Kante der Sitzfläche hin und her. Sie war keineswegs beruhigt.
    »Sie werden aus Jana kein medizinisches Versuchskaninchen machen! Vergessen Sie nicht, dass Sie meine Zustimmung brauchen.«
    »Wir haben nicht vor, mit Ihrer Tochter zu experimentieren.« Dr. Glaser lächelte gewinnend. »Es sind keine zusätzlichen Untersuchungen nötig. Alles, was wir wissen wollen, können wir im Rahmen der ohnehin notwendigen Nachuntersuchungen klären.« Um dem Gespräch einen versöhnlichen Abschluss zu geben, eröffnete sie: »Ich habe angeordnet, dass Jana heute von der Intensivstation auf ein normales Zimmer verlegt wird.«

    *

    Nervenbahnen werden zu meinen. Ich habe Kontakt zum Rückenmark. Ich! Ich bin. Nein, ich lebe! Arme und Beine, ich kann sie wahrnehmen, sie bewegen sich. Die Spur einer Erinnerung. Ich hatte Arme und Beine. Ich war ein Mensch. Ein Mann. Ich werde ein
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