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BRAINFUCK

BRAINFUCK

Titel: BRAINFUCK
Autoren: Alfred Berger
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schien in mich hineinsehen zu können. Der Schriftzug auf seiner Oberfläche sah aus, als würde er grinsen.
    »Du weißt es bereits, oder?«, fragte ich unnötigerweise.
    »Natürlich weiß ich es. Wie sollte ich dir helfen können, wenn ich nicht spüre, was in dir vorgeht?«
    »Und was rätst du mir? Soll ich zu ihm hochgehen und ihn anschreien, wie den Kerl gestern?« Gespannt wartete ich auf die Antwort. Hätte Xande einen Bart besessen, er würde ihn sich jetzt gekratzt haben. Es dauerte einige Sekunden, bis er antwortete.
    »Ich weiß etwas Besseres …«
    Was er mir erklärte, bewirkte, dass ich kräftig schlucken und tief durchatmen musste.
    »Und du glaubst, dass das funktioniert?«
    »Ja, das glaube ich«, sagte er schlicht.

    *

    Zehn Minuten später fand ich mich vor der Tür im dritten Stock wieder und drückte auf die Klingel. Der Alte schien im Flur gelauert zu haben, so schnell öffnete er.
    »Guten Morgen, junge Frau.« Seine Stimme triefte vor falscher Freundlichkeit und der Blick aus seinen wässrig-blauen Augen rutschte augenblicklich eine Etage tiefer.
    Ich befolgte buchstabengetreu Xandes Anordnungen. »Schau mir gefälligst ins Gesicht, wenn ich mit dir rede, du notgeiler alter Bock!«
    Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. »Nana, wer wird denn ...«
    Weiter kam er nicht. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, packte ihn im Nacken und donnerte ihm meine Stirn auf die Nase. Das Brechen des Nasenbeins hallte durchs Treppenhaus. Er schrie auf, ein Blutschwall schoss aus seinen Nasenlöchern und färbte sein T-Shirt rot. Er streckte abwehrend die Hände vor sich. Ich trat einen Schritt zurück und setzte ihm schwungvoll meinen Fuß zwischen die Beine. Aus dem Schrei wurde ein Gurgeln. Er knickte in die Knie. Mit beiden Händen griff ich an den Ausschnitt meiner Bluse und zerriss sie. Knöpfe flogen. Von meinem Hinterkopf glaubte ich ein leises Kichern zu vernehmen, bevor ich losbrüllte.
    »Hilfe! Vergewaltigung! Hilfe!«

    *

    Ich befürchtete, man könnte unser Lachen im gesamten Haus hören, als Xande und ich die Situation und deren Nachspiel rekapitulierten, uns Szenen daraus gegenseitig vorspielten und der Freude darüber Ausdruck verliehen, dass der alte Sack endlich bekommen hatte, was er verdiente.
    »Üch habe schon immer gewüsst, dass mit döm Körl was nücht stümmt …«, imitierte Xande die Nachbarin aus dem zweiten Stock.
    »Und das Gesicht der Polizisten, als sie die Kinderpornosammlung in seiner Wohnung fanden … göttlich!«, fiel ich ein.
    Der würde mir nie wieder meine Zeitung klauen! Ich hatte für mich gesorgt, Wut und Verärgerung hatten sich in Euphorie und Ausgelassenheit verwandelt. Ich war Xande unendlich dankbar. Wozu meine Therapeutin noch Monate gebraucht hätte, hatte er in wenigen Stunden geschafft: Aus einer unbeholfenen, unsicheren Person war eine Frau erwachsen, die sich wehrte, sich nichts gefallen ließ. Keine winzigen, hart erarbeiteten Erfolgserlebnisse mehr, die regelmäßig die Frage aufwarfen, ob sich der Aufwand für den kleinen Fortschritt lohnte. Triumphe waren angesagt!

    *

    Mit tief empfundener Befriedigung schlug ich am folgenden Morgen meine Zeitung auf. Xande sah mir ruhig zu, wie ich mein Nutella-Brot aß und den Kaffee schlürfte.
    »Und … wer ist als Nächstes dran?«, beendete ich das gemeinsame Schweigen.
    »Das musst du mir sagen, Jenny«, antwortete er. »Es geht um deine Befindlichkeiten.«
    Eine schwierige Frage. Es gab einige Menschen, die mich im Laufe meines Lebens ungerecht behandelt, betrogen oder verletzt hatten. Die Reihe der ungerupften Hühnchen war lang. Angefangen bei den katholischen Nonnen im Kindergarten, die mich regelrecht schikanierten, über die Lehrer in der Schule, die das Wort ›Dyskalkulie‹ nicht kannten, bis hin zu …
    »Mein Ex!«, rief ich, mir plötzlich im Klaren darüber, dass dieser Mann Schuld an meiner Sucht trug und dafür verantwortlich war, dass ich diesen schweren, entbehrungsreichen Weg gehen musste. »Erich, das versoffene Schwein!«, fügte ich hinzu.
    Ich hasste ihn. Nicht, weil er mich regelmäßig verprügelt hatte. Nicht für die Erniedrigungen und das ständige Fremdgehen mit irgendwelchen Schlampen aus seiner Säuferclique. Ich hasste ihn abgrundtief dafür, dass er mich in seine Abhängigkeit mit hineingezogen hatte.
    »Nun«, sagte Xande ruhig, »lass uns überlegen, wie wir deine Gefühlslage ihm gegenüber in die Waage bekommen.«
    Schnell entstand ein Plan, dessen Ausführung
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